Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
entsenden vermag, dürfte es hier keine Schwierigkeit für ihn darstellen. Und ich glaube, selbst du könntest nicht mehr als eine solche Kreatur durch Singen besänftigen. Nicht in ihrem eigenen Land.«
Er lächelte Maerad von der Seite an; sie musterte ihn verunsichert. Dies war die längste Äußerung gewesen, die Cadvan seit einer Woche von sich gegeben hatte. Durfte sie daraus schließen, dass er ihr verziehen hatte ? Ihr selbst war nicht danach, ihm umgekehrt so einfach zu verzeihen, als wäre sie ein Hündchen, das sich von einem Knochen verführen ließ.
»Mit etwas Glück brauchen wir es nicht herauszufinden«, gab sie kälter als beabsichtigt zurück. Schlagartig wirkten Cadvans Züge wieder verschlossen, und sie hätte sich am liebsten selbst einen Tritt versetzt. Hätte er sie angebrüllt, wäre es einfacher gewesen, oder wenn sie zusammen über etwas hätten lachen können; allerdings gab es anscheinend nichts zu lachen. Cadvan entzog sich ihr häufig an einen für sie unzugänglichen Ort; doch nun schien es, als könnte nichts mehr den Bruch kitten. Vielleicht lag es teilweise daran, dass sie es insgeheim gar nicht wollte, weil sie ihre gegenseitige Nähe fürchtete. Sogleich verwarf sie den Gedanken als lächerlich. Sie fühlte sich angesichts von Cadvans Rückzug so elend; wie also könnte sie wollen, dass er sich von ihr entfernte? Sie wünschte inständig, er hätte sie nie so angesehen wie während der Reise aus Thorold; seither hatte sich alles in die falsche Richtung entwickelt.
Cadvan trieb Darsor an, und sie begannen die langsame, unendlich erscheinende Reise.
Maerad schwankte hin und her zwischen Verzückung ob der atemberaubenden Aussicht, die sich ihr bot, und ständiger Furcht angesichts der
schwindelerregenden Tiefen und Höhen, die nur wenige Schritte von ihr entfernt lauerten. Es war ein einsamer Weg; sie begegneten keiner Menschenseele. Sie sahen nur die Adler, hier und da einige Gebirgshasen, die in der Ferne auf Hängen umhertollten, und einmal einen Schneeluchs, der sie von unterhalb der Straße mit einer Mischung aus Neugier und Verachtung beäugte. Bald schlich sich ein Muster in ihre Abläufe ein. Die Tage waren lang, und sie ritten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Das Lager schlugen sie stets in einer der zahlreichen Buchten auf, die für Reisende in die Bergwände gehauen worden waren, breiten Höhlen, die Unterstand vor der schlimmsten Witterung boten und groß genug wirkten, um zwei Wagen aufzunehmen. Sie schützten sich bestmöglich gegen die Kälte der Nächte und erwachten häufig mit Raureif in den Haaren und an den Kleidern. Maerad war unermesslich dankbar für die Winterkleidung, die sie aus Gant mitgenommen hatte und die wie durch ein Wunder ihre Körperwärme speicherte; doch selbst damit gestaltete die klirrende Kälte der Berge das Schlafen schwierig. Sehr oft befanden sich in den Buchten von reisenden Pilanel zurückgelassene Holzstöße, mit denen sie ein Feuer entfachten. Abgesehen davon gab es in diesen Höhen kaum Feuerholz.
Als sie am dritten Abend im Pass zum ersten Mal darauf stießen, zeigte Maerad sich überrascht über das ordentlich gestapelte Holz. »Dürfen wir es nehmen?«, fragte sie.
»Es ist für Reisende wie uns gedacht«, antwortete Cadvan. »Schau an die Felswand.«
Neben dem Holzstoß prangten zwei in den Stein geritzte Zeichen, die stark an Ladhen-Runen erinnerten. Maerad betrachtete sie neugierig: Eines hielt sie für das Symbol für Licht, das andere kannte sie nicht. Mit fragend hochgezogenen Augenbrauen sah sie Cadvan an.
»Sie unterscheiden sich geringfügig von jenen, die Barden verwenden«, erklärte er. »Die Barden haben die Ladhen-Runen von den Pilanel übernommen, die sie ständig verwendeten, um sich von Ort zu Ort miteinander zu verständigen. Grob übersetzt bedeuten die Zeichen, dass dieses Holz ein Geschenk für Reisende im Namen des Lichts ist; das eine ist das Zeichen für Licht, geschrieben über die Rune für Reisen, das andere ist das Symbol für ein Opfer oder eine Gabe.«
Cadvan begann, ein Feuer anzuzünden, und als die erste Flamme in der dunklen Höhle zum Leben erwachte, fühlte Maerad sich besser als seit Tagen. Sie zog die aus rauer Wolle gestrickten und gegen die Kälte mit dicker Seide ausgekleideten Reithandschuhe aus und streckte die bloßen Hände der Wärme entgegen. An jenem Abend bereitete Cadvan eine warme Mahlzeit zu, einen Eintopf aus Gerste und Trockenfleisch. Während sie aßen, ließ
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