Die Pellinor Saga Bd. 2 - Das Rätsel
jeder andere. Aber zuerst müssen wir erkennen, was sie ist.«
»Ich weiß, was sie ist!« Wutentbrannt, vor Zorn zitternd wirbelte Maerad herum. »Ich brauchte Freunde, die mir vertrauen. Ich brauchte eine Familie, die mich liebt. Beides habe ich nicht.« Selbstmitleid stieg in ihr auf und schnürte ihr die Kehle zu, doch mit einer mächtigen Willensanstrengung schluckte sie es hinunter. »Ich bin nur ein Werkzeug des Lichts. All den Barden liegt im Grunde überhaupt nichts an mir. Dir ebenso wenig wie den anderen. Ihr wollt mich alle bloß benutzen, um den Namenlosen zu zerstören. Nun, ich kann wohl kaum seinen großen schwarzen Turm erklimmen und ihn eigenhändig in die Tiefe schleudern, oder? Somit weiß ich nicht, was ich eigentlich tun soll. Da ist nur dieses wirre Gerede darüber, das Baumlied zu finden, obwohl wir nicht einmal wissen, was es ist, und dass ich freundlich sein soll, wenn man versucht, uns zu töten, und ich soll einfach dazu nicken, tun, was man mir sagt, und sein, was man von mir erwartet. Aber ich bin nun mal ich.«
Cadvan hatte ihr mit zu Boden gewandtem Gesicht und unlesbarer Miene zugehört, ohne sie zu unterbrechen. »Es tut mir leid, wenn ich der Grund dafür gewesen bin, dass du dich noch einsamer fühlst«, sagte er.
»Ich brauche dein Verständnis nicht«, entgegnet sie barsch. »Ich habe gelernt, ohne es auszukommen.«
Ausgedehntes Schweigen setzte ein, während Maerad mit dem Rücken zu Cadvan versuchte, sich in den Griff zu bekommen. Am liebsten hätte sie sich auf den Boden geworfen und geweint, bis keine Tränen mehr in ihr übrig blieben. Aber sie würde nicht vor Cadvan weinen.
»Maerad«, meinte Cadvan schließlich, »ich sage das, weil mir etwas an dir liegt. Es ist wichtig für dich. Wenn du das nicht verstehst, ahnt mein Herz eine Katastrophe voraus.«
»Ich verstehe genug«, knurrte Maerad mit gedämpfter Stimme. »Ich verstehe, dass ich auf mich allein angewiesen bin. Eigentlich ganz so, wie es schon immer gewesen ist.«
»Du bist nicht allein«, beharrte Cadvan; doch diesmal erwiderte Maerad nichts. Nach jener Nacht behandelte Cadvan Maerad mit mehr Aufmerksamkeit, doch nachdem sie ihrem Groll Luft gemacht hatte, konnte sie ihn nicht mehr zurücknehmen. Sie wies seine Versuche zurück, sich mit ihr zu unterhalten, und so ritten sie weiter schweigend durch das Gebirge. Auch die Pferde, angesteckt von der Stimmung ihrer Reiter, wirkten verdrießlich und blieben stumm. Sie mochten die Kälte nicht und vermissten das abendliche Grasen. Hafer ist schön und gut, sagte Darsor ungeduldig, dennoch ziehe ich ihm jederzeit ein Maul voll süßem Gras von den Rilnik-Ebenen vor.
Das gute Wetter hielt an. Maerads Augen begannen allmählich vom ständigen Gleißen zu schmerzen, und sie wurde des Anblicks der Berge überdrüssig. Ständig erstreckten sie sich vor ihnen, Gletscherspalten, Felswände und Gipfel, grauer, kahler Stein und blendend weißer Schnee, unerbittlich allgegenwärtig. Trotz der Handschuhe und warmen Stiefel bekam sie Frostbeulen, und sie war überzeugt davon, dass ihre Nase vor Kälte rot schimmerte. Trotzdem war sie dankbar für den Sonnenschein; durch ihn war es ihnen gelungen, eine stete Geschwindigkeit beizubehalten, sodass sie inzwischen bereits über die Hälfte des Weges durch die Gebirgskette zurückgelegt hatten. Laut Cadvan würden sie in ein paar Tagen in Zmarkan eintreffen. Was sie allerdings tun würden, wenn sie dort angelangten, wusste allein das Licht, dachte Maerad voll überwältigender, verbitterter Hoffnungslosigkeit. Mit den Pilanel reden? Ihre Suche glich einer albernen Zeitverschwendung, einer Jagd nach einer Nadel im Heuhaufen, gestützt von ein paar wilden Vermutungen und einigen Brocken halb vergessener Überlieferung. Und sie würde wahrscheinlich dafür sterben. Als sie an jenem Abend das Lager vorbereiteten, spürte Maerad, wie die Luft sich veränderte. Gleichzeitig drehte Cadvan, aufgeschreckt wie ein Hirsch, der Gefahr witterte, den Kopf und schnupperte. In jenem Augenblick kam plötzlich ein heftiger Wind auf, der Schotter in die Bucht wehte, ehe er zu einem steten Luftstrom verflachte; doch nun blies er aus Norden und brachte eine neue Kälte mit sich. Keiner der beiden Barden äußerte etwas über die Veränderung, aber in jener Nacht wurde es spürbar kälter als zuvor, und als Maerad am nächsten Morgen erwachte, war ihre Decke starr vor Raureif.
Sobald sie gefrühstückt hatten, brachen sie auf, um das Blut in ihren
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