Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
Baum erinnerte. Jäh schlug Zelika die Augen auf. Ein Ausdruck der Verwunderung und des Verzückens huschte über ihre Züge, dann rannte sie zum Ende des Ganges und verschwand durch die Wand.
Soron drehte sich Hem zu. »Das war die Schwierigere von euch beiden«, meinte er. »Jetzt du.«
Hem durchforstete seine Erinnerungen und überlegte, was Zelika gesehen haben mochte. Dabei verspürte er einen leichten Anflug von Neid: Inseinem Gedächtnis stieß er auf keine so schönen Erinnerungen wie Saliman. Am besten konnte er sich an dasTor des Waisenhauses erinnern. Es bestand aus dickem, verwittertem Holz und war immer verriegelt. Daneben kam ihm noch das Tor des Hauses in Edinur inden Sinn, wo er für kurze Zeit bei den Untoten geweilt hatte, doch jene Erinnerung erfüllte ihn mit Grauen, weshalb er sie verwarf.
Er schloss die Lider und rief sich das Bild des Waisenhaustores vor seingeistiges Auge. Es bestand aus silbrigem Holz, dermaßen gehärtet und poliert, dass unmöglich zu sagen war, welcher Art, zudem fast völlig schlicht. Einst war es mitKalk geweißelt gewesen, und am oberen Rand prangte ein Sprung. Wenn man genau hinschaute, konnte man ganz leicht die Muster von Astlöchern im Holz erkennen. Seitlich befand sich ein stumpfer Messinggriff, der sich drehen ließ und den Riegel anhob. Wenn man ihn öffnete …
Irc stieß ein leises Krächzen aus. Ein Hauch kühler Luft wie jene einer Straße im fernen Edinur strich über Hems Wange. Er schlug die Augen auf und japste. Hem befand sich in einem Tunnel aus Stein, doch am fernen Ende sah er das in waberndes Sonnenlicht getauchte Tor zum Waisenhaus.
»Schnell, geh hindurch«, flüsterte Soron, der Hem eingehend beobachtete. »Es ist nicht viel Zeit.«
Zögernd ging Hem zum Ende des Durchgangs. Er wusste, dass jenes Tor nicht echt war, dass er sich in Wahrheit tief im Inneren der Erde befand, Hunderte von Wegstunden von Edinur entfernt; dennoch wandelte er im kühlen, silbrigen Sonnenlicht eine Straße in Annar entlang. Der Junge streckte die Hand aus und berührte den Riegel;das Tor öffnete sich, und er schritt hindurch.
Das Tor schloss sich hinter ihm, und das Sonnenlicht verschwand. Irc, der zitternd vor Freude auf Hems Schulter gestanden hatte, gab ein leises, klägliches Geräusch von sich und verbarg die Augen wieder. Sie befanden sich in einem weiteren felsigen Gang, der sich in die Dunkelheit erstreckte, und hinter Hem ragte eine undurchdringliche Steinwand auf. In der Nähe hörte er rinnendes Wasser. Nach seiner kurzen Vision von der Welt draußen schien es unter der Erde noch kälter und dunkler als zuvor. Saliman und Zelika standen im steten magischen Licht ein kleines Stück entfernt. Hem erkannte, dass Zelika weinte und Salimans Hand auf ihrer Schulter ruhte; beide sprachen kein Wort, als sie Hem erblickten, sondern nickten ihm nur zum Gruß zu. Bald darauf beobachtete Hem gebannt, wie der blanke Fels zu schimmern schien und Soron durch die Wand trat. »Nun zum letzten Tor«, sagte der Barde leise. »Welches ist das?«, wollte Hem wissen.
»Das Tor des Wassers«, antwortete Saliman. »Kommt mit.«
Saliman führte sie mit forschen Schritten den Tunnel entlang. Die Decke war nun tiefer, sodass sich sowohl Saliman als auch Soron bücken mussten. In der Enge wurde das Geräusch rinnenden Wassers lauter und lauter und hallte von den Wänden wider,sodass es unmöglich zu sagen war, woher es stammte. Es konnte von einem Fluss verursacht werden, der hinter einer Wand neben ihnen oder sogar über ihnen verlief. Kurz Zeit später weitete der Tunnel sich wieder. Die Wände wichen von ihnen zurück, und der Boden unter ihren Füßen wechselte von Fels zu hellem Sand. Immer noch schwoll das Geräusch rinnenden Wassers an. Schließlich gelangten sie zu einem Wasserfall, der im magischen Licht silbrig funkelte und ihnen den Weg versperrte. Hem begriff, dass hoch über ihren Köpfen ein unterirdischer Fluss verlaufen musste und an dieser Stelle in einen tiefen Abgrund vor ihnen hinabstürzte. Er konnte nicht sehen, wie weit es hinabging oder was sich dahinter befand. Das Wasser bildete einen feinen Sprühnebel, der sein Gesicht befeuchtete.
Das Gebrüll des Flusses war so laut, dass er zuerst nicht verstehen konnte, was Saliman sagte. Dass der Barde sprach, erkannte Hem nur, weil er den Mund bewegte. Saliman bedeutete ihnen, dicht zu ihm zu kommen, und schrie ihnen in die Ohren. »Hierfür brauchen wir ein wenig Zeit«, erklärte er. »Wir können kein
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