Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
durch eine Höhle gegangen waren, wenngleich es sich diesmal um eine breite und hohe handelte. Bald darauf hatten sie eine unverkennbar von Menschenhand geschaffene Mauer erreicht, in die das Messingtor eingelassen war.
Saliman streckte die Hand aus und drückte dagegen. Langsam öffnete es sich. Warmes, flackerndes Licht strömte in die Dunkelheit heraus. Hem spähte neugierig hinter Salimans Schulter hervor, konnte jedoch nur eine brennende Fackel in einer Halterung neben dem Tor erkennen.
Rasch scheuchte Saliman sie hindurch. Geräuschlos schloss sich das Messingtor hinter ihnen. Sie befanden sich allem Anschein nach auf einer breiten Durchgangsstraße, ausgelegt mit Steinplatten. Beide Seiten waren von fensterlosen Wänden gesäumt, durchsetzt mit gemeißelten Pforten. Den Zugang zu den meisten versperrten Türen aus demselben stumpfen Messing wie das Tor, das sie soeben durchschritten hatten. Andere führten in schwarze Gänge. Hems Nackenhaare richteten sich auf; womöglich stand in jenen schwarzen Öffnungen jemand und beobachtete sie.
»Wie seltsam!«, rief Zelika aus und zuckte zusammen. Ihre Stimme hörte sich unerwartet laut an. Abgesehen vom leisen Knistern der brennenden Fackel und ihren Atemgeräuschen herrschte völlige Stille auf der Straße, und Zelikas Stimme hallte beunruhigend wider.
»Ja, es ist seltsam hier«, pflichtete Saliman ihr bei, ergriff die Fackel aus der Halterung und führte sie die Straße hinab. »Seltsam, wunderschön und traurig. Aber lasst uns Hared finden. Er wird sich nicht weit von hier aufhalten.«
Mit größerem Eifer, als er ihn seit dem Betreten der Höhlen verspürt hatte, folgte Hehl dem Barden dicht auf den Fersen die menschenleeren, dunklen Straßen entlang. Bisweilen sahen sie zwischen den Mauern Treppen, die in Finsternis führten, und in weiterer Ferne Höhen und Klüfte, die sie nur ansatzweise wahrnahmen, sowie die Umrisse weiterer Gebäude. Da der Stein vor den Einflüssen von Sonne und Wind geschützt war, sah er aus, als wäre er erst am Vortag gehauen worden; ab und an prangte ein Riss in einer Wand, wo sich vermutlich die Erde gesetzt hatte, doch das war alles. »Was ist das für ein Ort?«, wollte Hem von Saliman wissen, während er hinter ihm hereilte. »Wer hat hier gelebt?«
»Das weiß niemand«, antwortete der Barde. »Einst muss diese Stadt schön und bevölkerungsreich gewesen sein; sie erstreckt sich von einem Ende zum anderen über mindestens eine Wegstunde. Und doch ist so gut wie nichts darüber bekannt, wer hier einst gelebt hat; Hinweise finden sich nur noch vereinzelt, bald in einer Strophe eines Lieds, bald in einem Kinderreim …«
»Woher wusstet Ihr dann von den Toren?«, fragte Zelika. »Irgendjemandem muss dieser Ort bekannt gewesen sein.«
»Barden besitzen ein langes Gedächtnis«, antwortete Saliman. »Die Lage dieser Stadt und wie man sie betritt, wurde im Verlauf der Zeitalter von Barde zu Barde weitergereicht. Hem und Zelika, ihr könnt euch also glücklich schätzen! Nur wenige Lebende haben diese Stadt gesehen. Während der Großen Stille, nachdem der Namenlose den Osten Suderains überrannt hatte, diente Nal-Ak-Burat als Ausgangsort für Angriffe gegen seine Streitkräfte. Damals waren wir stärker als heute, denn in jenen dunklen Zeiten fiel weder Baladh noch Turbansk dem Namenlosen zum Opfer. Es war weise, diesen Ortfür den Fall geheim zu halten, dass wir ihn wieder brauchen würden.«
An jener Stelle bogen sie von der Straße auf einen großen Platz, und Hem sog scharf die Luft ein. Die Decke der Höhle wich jäh zurück, bis sie nicht mehr zu sehen war, sodass es sich beinah anfühlte, als befänden sie sich unter freiem Himmel. Irc ließ ein hoffnungsvolles Krächzen vernehmen; einen Lidschlag lang hatte er tatsächlich gedacht, sie wären draußen unter einem nächtlichen Firmament. In der Nähe befand sich eine Bardenlampe, deren steter, auf den fahlen Stein strahlender Schein Hem blinzeln ließ. Immer noch sahen sie keinerlei Anzeichen von Menschen. Kurz fragte Hem sich, weshalb es keine Wachen gab, doch dann erinnerte er sich an die drei Tore. Gewiss genügten sie als Schutz.
In die Felswand zu ihrer Linken war ein breiter Durchgang gehauen, dessen Sturz dieselben seltsamen Runen umgaben, die sie an den drei Toren gesehen hatten. Saliman führte sie hindurch in eine riesige, hell erleuchtete Kammer. Ringsum prangten Wandmalereien, die einst bunt gewesen sein mussten, doch mittlerweile waren die Farben so
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