Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
lag, und zu keiner Seite konnte man ihre Wände erkennen.
Nach der unermesslichen Zeit in der Enge der Tunnel fühlte es sich beunruhigend an, sich an einem so weitläufigen Ort zu befinden, doch während sie weitergingen, beschlich Hem der Gedanke, dass seine innere Unruhe eher von der plötzlichen Leere rings um sie herrührte. Zelika sah Hem mit vor unausgesprochener Besorgnis geweiteten dunklen Augen an, und Hem lief ein Schauder über den Rücken, als hätten ihn kalte, unsichtbare Finger im Nacken berührt. Saliman und Soron marschierten steten Schrittes vor ihnen über den ebenmäßigen Boden. Das kleine magische Licht schwebte vor ihnen und spendeteeinen Kreis silbrigen Lichts. Hem straffte die Schultern und lief weiter.
Die Stille, die ihre Schritte umgab, schien so eindringlich, dass sie eine eigene Gestalt anzunehmen schien. Gab es so etwas wie eine laute Stille? Ohne zu wissen, weshalb, verspürte Hem eine eisige Angst. Es gab nichts, so sagte er sich, vor dem er sich fürchten müsste. Dennoch spürte er, wie sich Furcht über seine Kopfhaut und seinen Rücken ausbreitete und ihm sämtliche Haare zu Berge stehen ließ. Auf halbem Weg durch die Höhle ergriff Zelika seine Hand, und er drückte ihre Finger, suchte Trost in ihrer Berührung.
Als sie sich der Fackel näherten, erkannten sie, dass sie sich in einer Halterung neben etwas befand, das wie eine aus dem Stein gemeißelte Tür aussah. Hem betrachtete die Fackel eingehend: Sie schien mit keiner gewöhnlichen Flamme zu brennen. Ein wenig erinnerte sie an die Lichter, die von den Barden in Norloch verwendet wurden, aber ihr Licht war schwefelig gelb. Saliman legte die Hand auf die Tür und murmelte etwas, woraufhin die Tür weit aufschwang. Er scheuchte den Rest der Gruppe voran, und sie spürten, wie die schwere Pforte beinah lautlos hinter ihnen zuschwang. Beim Schließen der Tür erlosch das magische Licht, sodass sie in völliger Finsternis zurückblieben.
»Magisches Licht, bitte, Soron«, sagte Saliman mit ruhiger, kräftiger Stimme. Eine kurze Pause entstand, dann entflammte neben Soron ein silbriges Licht und schwoll an. Hem fand, dass sie im kraftlosen Schein alle wie Geister aussahen.
»Warum ist das Licht ausgegangen?«, fragte Hem mit zittriger Stimme. »War das Absicht?« »Nein«, antwortete Soron.
»Warum ist es dann ausgegangen?« Magische Lichter sollten nicht einfach ausgehen, dachte Hem, es sei denn, der Barde wollte es so. Jemand hatte es gelöscht. Er spürte, wie sein Puls unregelmäßig durch seinen Körper zuckte und ihm kalter Schweiß auf die Stirn trat.
»Fürchtet euch nicht«, ergriff Saliman das Wort. »Bleibt ruhig. Wir haben uns gut geschlagen: Das erste Tor haben wir durchschritten.«
»Das erste?«, hakte Zelika nach. Tagelang war sie ohne Klagen oder Zeichen von Angst durch die Dunkelheit marschiert, nun jedoch bebte ihre Stimme.
»Ja. Das war das Tor des Todes. Nun erwarten uns zwei weitere.«
»Oh.« Zelika schluckte schwer, fügte jedoch nichts hinzu.
»Das Tor des Todes?« Hems Stimme erklang höher, als er gewollt hatte. »Ich dachte - ich hätte jemanden gespürt. Ich dachte …« Stockend verstummte er.
»Es heißt, dass die Toten der Stadt dieses Tor bewachen«, sagte Saliman. »Und dass sie niemanden hindurchlassen, der eine böse Absicht hegt.«
Mehr wollte Hem nicht erfahren; plötzlich überkam ihn schaurig die Erinnerung an das Gefühl, von eiskalten Fingern berührt worden zu sein. »Welches Tor ist das nächste?« »Das dort ist das zweite. Das Tor der Träume.«
Hem sah sich um. Es sah überhaupt nicht wie ein Tor aus, doch das hatte auch für die vorherige Pforte gegolten. Diesmal handelte es sich um einen kurzen Steingang, der in einer Sackgasse endete. Die Wände und die Decke waren von verschlungenen, eingeritzten Zeichen überzogen, allerdings keinen, wie Hem bei näherer Betrachtung feststellte, die er kannte. Vielmehr ähnelten sie denselben merkwürdigen Runen, die über dem Eingang zur großen Höhle geprangt hatten. Ein Prickeln auf der Haut ließ ihn spüren, dass die Luft vor Magie strotzte, die jedoch irgendwie völlig anders als jene der Barden war.
»Und wie gelangen wir durch das Tor der Träume?«, fragte er argwöhnisch. »Wir träumen«, antwortete Saliman. Hem starrte ihn mit unverhohlener Verständnislosigkeit an. Saliman lächelte auf eine Weise, die Hem lange nicht mehr an ihm gesehen hatte, mit einem Funken reinen Vergnügens. »Wir träumen von einem
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