Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
erneut die Frage aufgeworfen, ob Hem für die Barden arbeiten könnte. Der Junge hatte zugleich aufgeregt und etwas ängstlich ob der Aussicht mit Zelika darüber gesprochen. Anfangs hatte sie sich zu seiner Überraschung zweifelnd gezeigt. »Ich weiß nicht recht, Hem«, hatte sie gesagt. »Was könnten wir schon tun? Vielleicht ist es besser, Salimans Wunsch Folge zu leisten und sich nicht in Gefahr zu begeben.« Hem hatte Zelikas Gesinnungswandel dermaßen verblüfft, dass er nicht gewusst hatte, was er darauf entgegnen sollte. »Aber du willst doch gegen die Schwarze Armee kämpfen, oder? Willst du nicht Rache für deine Familie? Und dem Licht helfen? Du warst es doch, die in Turbansk losgezogen ist, um sich dem Angriff anzuschließen, nicht ich … «
Zelika mied Hems Blick, als sie antwortete. »Ja, das stimmt«, sagte sie. »Und ich habe meine Lektion gelernt. Wahrscheinlich bin ich hier nützlicher, indem ich bei den Kindern mit helfe.« Während sie sich unterhielten, schaukelte sie Banu auf dem Schoß. »Aber Hared sagt, das wäre eine Möglichkeit, wie wir helfen könnten«, blieb Hem beharrlich. »Und was sagt Saliman?«
Darob verstummte Hem. Saliman war dagegen und wütend auf Hared, weil dieser ohne seine Zustimmung mit Hem darüber gesprochen hatte. Wie Zelika sehr wohl wusste, war dies ein ständiger Streitpunkt zwischen den beiden Barden.
»Aber wenn wir doch helfen k ö n n t e n … « , meinte Hem schließlich und fuchtelte enttäuscht mit den Armen. »Wir könnten etwas beitragen - laut Hared könnten wir auf eine Weise helfen, wie es andere nicht können.«
Zelika setzte Banu auf den Boden, bedachte Hem mit einem nüchternen Blick und legte den Kopf schief.
»Das mag wohl sein, aber ich vertraue Hared nicht«, erklärt sie. »Ich meine, es ist nicht so, dass er ein Verräter ist oder dergleichen. Nur liegt ihm nichts an uns. Wenn wir stürben, hätte er damit keinerlei Problem, solange er die gewünschten Auskünfte erhält. Und sogar Hared gibt zu, dass es eine gefährliche Arbeit ist.«
»Aber ungefährlich ist es doch nirgends … « , begann Hem aufzubegehren, ehe Zelika ihm ins Wort fiel.
»Hem, ich habe nicht mehr das Gefühl, sterben zu wollen. Saliman wäre nicht so verärgert darüber, wenn er dächte, dass uns nichts geschehen würde. Und es ist ja nicht so, dass er uns übertrieben in Watte packt. Immerhin hat er uns in Turbansk bleiben lassen, was alles andere als sicher war.«
»Ja, ich weiß.« Hem fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Eigentlich verstand er selbst nicht, weshalb die Vorstellung, die Barden bei ihrer gefährlichen Arbeit gegen die Schwarze Armee zu unterstützen, solche Anziehungskraft auf ihn ausübte. Er wusste nur, dass sein Herz mit einer Mischung aus Angst und Erregung in der Brust gehüpft war, als Hared den Vorschlag unterbreitet hatte. Irgendwie spürte er, dass er für diese Aufgabe geeignet wäre und sie gut verrichten könnte. Er hatte es satt, sich beim Kampf gegen die Finsternis nutzlos zu fühlen.
Abgesehen davon hatte eine tief sitzende Wut in ihm zu schwelen begonnen. Er dachte daran, wie die Finsternis sein Leben beinah von seiner Geburt an verheert hatte; die Schule, die seine Heimat dargestellt hatte, war niedergebrannt worden; seine Familie war gefangen genommen und hingemetzelt worden; er selbst war von Untoten entführt und in ein Waisenhaus gesteckt worden. Der Namenlose hatte ihm so grausam seine Kindheit gestohlen, als hätte er mit eigenen Händen die Schule niedergebrannt und Hems Vater gemeuchelt. Mittlerweile lag seine zweite Heimat Turbansk ebenso in Trümmern wie die erste. Aussicht auf eine weitere bestand nicht, nur auf Zufluchtsorte wie Nal-Ak-Burat.
Inzwischen hatten wieder Albträume begonnen, ihn zu plagen. Regelmäßig erwachte er keuchend und schweißgebadet in seiner kleinen Kammer und erwehrte sich halb erinnerter Visionen der Zeremonie, die von den Untoten abgehalten worden war, um Hem in einen der ihren zu verwandeln, indem sie ihm befohlen hatten, einen anderen Jungen zu töten. Jener Jungehatte Mark geheißen und so wie Hem im Waisenhaus gelebt. Hem hatte ihn zwar nicht besonders gut gekannt, aber durchaus gemocht. Sein gequältes, völlig verängstigtes und verzweifeltes Gesicht von damals suchte Hem selbst in wachen Stunden heim. Dies war die Finsternis, dachte er. Dies war ihr Kern: das in die Mienen Unschuldiger eingebrannte Grauen, die mutwillige Grausamkeit, die sich daran ergötzte, die erschreckende
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