Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
Gleichgültigkeit. Er hasste all das aus tiefstem Herzen und wollte tun, was in seiner Macht stand, um es zu vernichten.
Als er aufschaute, stellte er fest, dass Zelika ihn mit einem Blick musterte, in dem für sein Gefühl eine unangenehm scharfe Wahrnehmungskraft mitschwang. »Ich will auch nicht sterben«, murmelte er. »Aber ich kann auch nicht hier bleiben und nichts tun, sonst werde ich verrückt.«
»Dann hilf mir mit den Kindern«, fordert Zelika ihn auf. »Es ist Essenszeit für sie.«
»Das habe ich damit nicht gemeint«, gab er bockig zurück. Trotzdem folgte er ihr in die Kombüse und schöpfte Essen in Schalen. Dabei grübelte er über diese neue Zelika nach. Während sie Banu fütterte, sah sie ihn an.
»Ich weiß, was du gerade denkst«, sagte sie.
»Tatsächlich?«, erwiderte Hem mit einem Hauch Streitlust.
»Du fragst dich, weshalb ich nicht kämpfen will.«
»Nun …ja … «
»Es war beim zweiten Tor. Dem Tor der Träume, bei dem wir uns an etwas erinnern mussten, um hindurchzugelangen.« Hem nickte.
»Ich habe das Tor zu meinem Heim in Baladh gesehen. Und weißt du, kurze Zeit hatte ich wirklich das Gefühl, dort zu sein.« »Ich dachte, wenn ich hindurchliefe, würde ich wieder in Baladh sein, und mein kleiner Bruder Arlian würde mir entgegenrennen, sodass ich ihn hochheben könnte. Ich glaubte, ich könnte mich mit ihm zum Teich mit den Seerosen setzen und die goldenen Fische beobachten. Wir hatten viele Fische, sie waren so wunderschön … «
Zelikas Stimme wurde zittrig, und sie wischte Banu eifrig das Gesicht ab, ehe sie fortfuhr. »Ich bin an Zauberei nicht gewöhnt«, sagte sie. »Mir war nicht klar, dass alles einfach verschwinden würde, sobald ich hindurchgegangen wäre. Saliman hat zwar alles erklärt, aber, ich weiß auch nicht… danach fühlte ich mich irgendwie anders.« Hem dachte an das Waisenhaustor, das er beim Tor der Träume durchschritten hatte, dann an Salimans Warnung, dass man seine Erinnerung sorgfältig wählen sollte. Womöglich hatte er eine schlechte Wahl getroffen. Vermutlich hatte er unwissentlich einen Teil der Wut und Verzweiflung, die er in Edinur empfunden hatte, mit nach Nal-Ak-Burat gebracht, während Zelika stattdessen eine flüchtige Vision des Friedens in ihrem verlorenen Heim gefunden hatte. Vielleicht lag es daran,dass er ein solches Verlangen verspürte, Vergeltung gegen die Finsternis zu üben. Allerdings trug die Erkenntnis nicht im Geringsten dazu bei, seine innere Unruhe zu verringern.
Im Verlauf der nächsten Tage verbrachten Hem und Zelika ihre Freizeit damit, Nal-Ak-Burat zu erkunden. Saliman erteilte ihnen widerwillig die Erlaubnis dazu, warnte sie jedoch davor, sich den nördlichen und südlichen Toren zu nähern, und mahnte sie zur Vorsicht - nur zu leicht konnte man sich verirren und stundenlang durch einen Irrgarten aus Stein wandern. Einige Orte bargen zudem Gefahren: Es gab Treppen, die sich mächtige Steilwände emporwanden und, sofern sie überhaupt je Geländer besessen hatten, mittlerweile keine mehr aufwiesen. Ein unachtsamer Schritt konnte einen Sturz in dreißig oder mehr Spannen Tiefe zur Folge haben. Zunächst beschränkten sie ihre Streifzüge auf den riesigen Platz und die ihn umgebenden Gassen, die einen großen flachen Bereich abdeckten, der das Herz der Stadt bildete. Es war unschwer zu erkennen, weshalb die Barden ihr derzeitiges Gebäude ausgewählt hatten - offensichtlich war es eine Art Palast gewesen, in dem einst viele Menschen gelebt haben mussten und der in menschlichem Maßstab errichtet worden war. Die anderen Bauwerke, die den Südrand des Platzes säumten und von denen einige tief in die Felswände gehauen waren, vermittelten den Kindern das Gefühl, sich daneben wie Ameisen auszunehmen. Sie durchstreiften so hohe Räume, dass die Decken - sofern es überhaupt welche gab, denn benötigt wurden sie unter der Erde nicht unbedingt - in den Schatten hoch über ihren Köpfen verschwanden, während sich vor ihnen in steten Reihen Säulen erstreckten und in weite Ferne verliefen. Zumeist zierten Malereien die Wände, die jenen ähnelten, die sie in der Eingangshalle des Palastes gesehen hatten. Sie verbrachten Stunden damit, diese genauer zu betrachten. Einige in den inneren Räumen erwiesen sich als erstaunlich gut erhalten -die Farben wirkten so kräftig, wie sie gewesen sein mussten, als sie ursprünglich gemalt worden waren. Sie erzählten geheimnisvolle Geschichten: da ein König, der sich vor einem
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