Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
offenbar einst das Spielzeug eines Kindes. Derlei Dinge lagen in der Dunkelheit, waren wohl vergessen worden, als Nal-Ak-Burat endgültig verlassen wurde - vielleicht hatte ein Kind um sein Spielzeug geweint, eine Frau die Stirn gerunzelt, als sie festgestellt hatte, dass ihr Lieblingskamm fehlte. Warum waren die Menschen fortgegangen? Hatte eine Seuche sie vertrieben? Oder konnten sie es einfach nicht mehr ertragen, nie den Wind auf den Wangen zu spüren? Hatten sie nach Sonnenschein gelechzt und ihrer wunderbaren Stadt aus Stein den Rücken zugekehrt, um blinzelnd hinaus in das Licht zu klettern?
In jener Nacht (trotz der unveränderlichen Dunkelheit unterschieden die Barden mit Hilfe einer Wasseruhr immer noch zwischen Tag und Nacht) versammelten sie sich wie üblich im Palast zum Abendessen. Die Barden wechselten sich beim Kochen ab, und diesmal bereitete Soron mit Hems Unterstützung die Mahlzeit zu. Er brummte vor sich hin, während er Teig für das Fladenbrot knetete, das unten im Ofen gebacken werden würde.
»Ich könnte wirklich ein wenig Grüngemüse gebrauchen, mein Junge«, murrte er. »Aber anscheinend sind frische Zutaten derzeit Mangelware.« Hem, der immer dankbar war, wenn er überhaupt etwas zu essen bekam - schließlich lagen seine Tage des Hungerns noch nicht so weit hinter ihm, und die Zukunft schien alles andere als gewiss -, schaute überrascht auf.
»Aber es schmeckt doch alles so köstlich«, meinte er. »Und mich erstaunt, dass es ihnen überhaupt gelingt, Essen hereinzuschaffen. Aber ich vermute, auf dem anderen Weg gibt es kein Tor des Wassers.«
Soron sah ihn komisch an. »Da dürfest du Recht haben. Und dem Licht sei Dank dafür, sonst müsste ich für immer hierbleiben. Aber ich sage dir, jemand hat sich hier gut auf magere Zeiten vorbereitet - in den Vorratskammern lagern mehr Korn, getrocknete Früchte und eingelegte Lebensmittel, als ich je an einem Ort gesehen habe. Ebenso gibt es ganze Stapel von getrocknetem und gepökeltem Fisch und sogar geräucherte Wildhälften. Alles in Fässern gelagert oder abgehangen, sauber und trocken, damit es nicht verdirbt. Die Auswahl der Gewürze kommt der in den Küchen des Ernan gleich, der Weinkeller kann sich durchaus mit jenen der Barden von Turbansk messen - ganz, wie man es von Barden erwartet! Tja, dies hier ist auch ein vollkommener Ort zum Lagern von Dingen: trocken, kühl und dunkel wie ein riesiger Keller. Ich bin keineswegs undankbar, nur sehne ich mich trotzdem nach frischem Fleisch und Gemüse.«
Hem musste plötzlich an einen vorzüglichen Kräutersalat denken, den er einst in Turbansk gegessen hatte, und hörte einen Augenblick mit dem Schneiden des getrockneten Fisches auf, den Soron für einen Eintopf vorbereitete. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen; fast vermeinte er, den Salat schmecken zu können. »Grüngemüse wäre wirklich gut«, pflichtete er Soron bei. »Aber noch mehr als das möchte ich die Sonne sehen.«
»Ja«, erwiderte Soron. »Aber wer weiß, was dort oben vor sich geht, Hem, während wir uns hier unten verkriechen?«
Hem verstummte. Ihm war bekannt, dass die Barden hier über Mittel und Wege verfügten, um Neuigkeiten in Erfahrung zu bringen - Hared wusste wesentlich besser darüber Bescheid, was in Annar vorging, als früher die Barden in Turbansk, wo es, wie er gesagt hatte, selbst Vogelboten selten gelang, an der belagernden Armee vorbeizugelangen. Aber er erinnerte sich daran, dass Soron nicht wusste, was aus jelika geworden war, der Frau, die er liebte und die eigentlich bei ihnen sein sollte, aber ihnen vom Krieg entrissen worden war. Vielleicht, dachte Hem, würde er es nie erfahren - solche Dinge kamen vor. Soron erwähnte Jelika nie und schien die meiste Zeit derselbe freundliche, geduldige Mann, der er in Turbansk gewesen war; nur manchmal, so wie nun, spürte Hem in ihm eine tiefe Traurigkeit.
Ein wenig, fand Hem, war es so, wie er Maerad vermisste. Auch er konnte nicht wissen, ob sie noch lebte, und würde sie vielleicht nie wiedersehen. Sie konnte auf ihrer Suche gestorben sein, und er würde es nie erfahren. Der Gedanke schmerzte, weshalb er ihn verdrängte und sich stattdessen ganz dem Schneiden des getrockneten Fisches widmete, das sich selbst mit einem scharfen Messer schwierig gestaltete.
Beim Abendessen gab es ein neues Gesicht - einen Barden mit verkniffener Miene namens Til-Naga. Er sprach mit demselben, Hem unvertrauten Akzent wie Orona – mittlerweile war sein Gehör so gut,
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