Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
weiß wie die Blüten einer Magnolie und völlig ausdruckslos.
Als der Baummann den zwischen ihnen stehenden Steintisch erreichte, hielt er inne. Zu Hems Erstaunen sprach er sodann zu ihm, wobei er sich einer Abart der HohenSprache bediente, die Hem mit Müh und Not verstand. Er war nicht sicher, ob der Baummann laut sprach; jedenfalls hallte seine Stimme im Kopf des Jungen wider, tief, üppig und melodisch.
Liedjunge, sagte er. Endlich kommst du aus der Vorzeit. Ich habe lange auf dich gewartet.
Es war das Letzte, was Hem erwartet hätte, und der Mund klappte ihm vor Erstaunen auf. Nach ein paar Lidschlägen wurde ihm klar, dass er wie ein glotzender Narr dastand; mit einem Schnapplaut schloss er den Mund wieder. Der Baummann verharrte reglos, als wartete er auf eine Erwiderung von Hem. Der Junge bemühte sich, die Gedanken zu sammeln, die wie panische Vögel durch seinen Kopf schwirrten.
Ich?, brachte er schließlich hervor. Ich… ich glaube, hier liegt ein Irrtum vor… Die Miene des Baummannes veränderte sich in keiner Wiese, doch Hem beschlich der Eindruck, dass sich ein kaltes Gelächter in seine gelben Augen schlich. Die Sprache der Erde lässt sich nicht verleugnen, Liedjunge. Es liegt kein Irrtum vor. Du bist nur ein Frühlingsblatt in den Zeitaltern der Welt, und es gibt viele Weisheiten, die deinesgleichen - die vergehen wie eine Welle auf einem See, wie ein Sonnenstrahl auf einem Hügel - nie verstehen werden. Das Wissen ist sicher. Du bist vorhergesagt.
Hem blinzelte. Ich glaube, du meinst meine Schwester, entgegnete er schließlich. Nicht mich. Ich bin nicht wichtig. Meine Schwester ist die vom Schicksal Ausersehene. Sie ist es, die du meinst. Es gab schon früher Irrtümer, als ich noch ein Kleinkind war… Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er vor sich hin schwafelte, und er verstummte.
Ja, eine Schwester und ein Bruder. Aus der Vorzeit.
Hem wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, und leckte sich stattdessen die Lippen. Sein Mund fühlte sich so trocken an, dass er kaum zu schlucken vermochte. Aus der Vorzeit, wiederholte der Baummann leise. Um das Baumlied zu entketten. Das Baumlied?, fragte Hem verunsichert. Aber danach sucht doch Maerad… Zum einen für den Gesang, zum anderen für die Musik. Hör gut zu, Liedjunge. Lausche mit den Sehnen deines Herzens, mit dem Mark deiner Knochen, mit den Windungen deines Verstands. Der Baummann beugte sich vor. Hem nahm dies so wahr, als streckte sich sein Oberkörper auf unmögliche Weise über den Steintisch durch die gesamte Kammer, sodass ihm der Baummann ins Ohr flüsterte. Lausche und erinnere dich. Der Baummann hauchte in Hems Ohr, und die Welt veränderte sich.
Als Hem später zu begreifen versuchte, was geschehen war, fand er, dass es sich angefühlt hatte, als wäre er plötzlich in ein Meer aus Musik gestürzt worden, in dem er als Fisch aus Licht von Strömungen reiner Klänge gewiegt wurde. Oder als bestünde er nicht mehr aus Fleisch, als wären seine Muskeln, Knochen und Organe aus einer Melodie gewoben, einer Harmonie, die jegliche Misstöne aufhielt und am Rande der Stille zitterte. Es war eine so unerträglich überwältigende Schönheit, dass es seine menschlichen Fähigkeiten überstieg, sie zu verstehen, dennoch wollte er, dass sie nie endete; und er hatte das Gefühl, sie würde nie enden, als hätte ihn jener Lidschlag des Atems des Baum-mannes in der Ewigkeit gefangen, auf dass sein Körper im Einklang mit der langsamen Musik der Sterne pulsierte, und jenseits der Sterne wartete eine reine, unermessliche Finsternis, die Quelle und das Ende aller Schönheit und allen Lebens.
Das Nächste, was er wahrnahm, war ein stechender Schmerz im linken Ohr, dann schüttelte ihn jemand an der Schulter und sprach seinen Namen. Er versuchte zu verscheuchen, was sein Ohr schmerzte, und seine Hand berührte Federn: Irc. Aus unerfindlichem Grund lag Hem auf dem Boden. Da völlige Finsternis herrschte, entfachte er ein magisches Licht und setzte sich auf.
Zelika saß neben ihm. Ihre Züge wirkten im fahlen Licht angespannt. »Geht es dir gut?«, fragte sie. »Ich dachte …« Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie ihn freibekommen. »Bist du ohnmächtig geworden? Du bist einfach umgekippt, dann ging das magische Licht aus, und es war dunkel.«
»Hast du den Baummann nicht gesehen?«, fragte Hem und sah sie neugierig an. »Welchen? Den an der Wand?«
»Er hat mit mir gesprochen.«
»Mit dir gesprochen?«
Hem erkannte, dass Zelika
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