Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
mit einerruckartigen Geste seines Kopfes, ihm zu folgen. Vorsichtig bewegte die kleine Gruppe sich durch das Unterholz und achtete darauf, die Schritte auf dieselben Stellen zu setzen wie Hared. Einmal trat Hem auf einen Stock, der darob brach; das Knacken wirkte laut wie ein Peitschenknall. Mit gerunzelter Stirn schaute Hared über die Schulter zurück, und Hem errötete. Er verdrängte die Freude darüber, in der frischen Luft zu sein, und begann, sich zu konzentrieren. Sie befanden sich auf dem Gebiet der Schwarzen Armee, und jeder Fehler konnte den Tod bedeuten. Erst an jenem Morgen waren sie aufgebrochen und hatten sich wieder durch endlose Tunnel gewunden, Hem mit einem verdrießlichen, stummen Irc auf der Schulter. Zwar hatte der Vogel seine Abscheu gegenüber dem Dasein unter der Erde größtenteils überwunden, doch Höhlen hasste er noch immer. Den nördlichen Zugang nach Nal-Ak-Burat schützte eine verzauberte Schranke ähnlich dem Tor der Träume, durch das sie dorthin gelangt waren, abgesehen davon jedoch bestand seine Hauptverteidigung aus dem Irrgarten der Höhlen, die sich als noch verwirrender als jene erwiesen, durch die sie zuvor gereist waren.
»Einmal falsch abgebogen, und man wäre für immer verloren«, hatte Hared mit finsterer Miene gemeint, als er angehalten und sich gebückt hatte, um ein Grüppchen Runen an einer Stelle zu lesen, an der sich ein Gang in fünf Stollen gabelte. »Wie erinnert man sich dann daran, wohin man gehen muss?«, fragte Hem beunruhigt. Er hatte schon vor Stunden jegliches Gefühl für die Richtung verloren. »Es ist wie das Erlernen eines langen Musikstücks«, antwortete Hared. »Eines schwierigen Stücks mit nur wenigen Noten. Links, rechts, geradeaus … Aber es gibt ein Muster. Es verändert sich gelegentlich - immer, wenn man diese Runen sieht; sie dienen als Hinweis auf eine Veränderung, aber man muss zudem wissen, was das nächste Muster ist. Auch die Muster weisen Muster auf.«
Zelika blickte verwirrt drein. »Wie eine Änderung der Tonlage?«, fragte Hem.
»So ähnlich.« Hared zeigte sich nachgerade schwatzhaft; je weiter sie sich von Nal-Ak-Burat entfernten, umso weniger verbittert schien er zu werden. »Nur viel verschlungener. Ich wandle seit fast hundert Jahren auf diesen Pfaden, dennoch würde ich mich niemals achtlos auf sie wagen.«
Zelikajapste. »HundertJahre?«, wiederholte sie.
Hared bedachte sie mit einem belustigten Blick. »Ja, mein Füchslein«, gab er zurück. »Ich wandere schon durch diese Höhlen, seit dein Großvater noch ein Kind war. Und doch ist es in der Geschichte der Welt nur eine kurze Zeit.«
Zelika missfiel, dass Hared sich über sie lustig zu machen schien. »Ihr Barden müsst immer angeben«, warf sie ihm vor und schleuderte ihm einen finsteren Blick zu. »Was hat es schon zu bedeuten, dass ihr so lange lebt? Macht euch das besser als andere Menschen?«
Hareds Lächeln weitete sich. »Habe ich das behauptet?«, fragte er. »Nein, Zelika, ich gebe keineswegs damit an; ich sagte nur, wie es ist. Ich glaube, du bist es, die Bardenfür besser hält als andere Leute, aber du kannst es nicht eingestehen.«
»Barden glauben, wegen all der Magie etwas Besonderes zu sein«, beharrte Zelika mit verdrossener Miene. »Aber das sind sie trotzdem nicht. Sie sind nur Menschen wie alle anderen auch.«
Sie sah Hem an, dem die Unterhaltung Unbehagen bereitete; ihre Augen wirkten schwarz und feindselig. Er öffnete dem Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich jedoch anders.
»Du hast Recht, Zelika«, meldete Soron sich unbekümmert zu Wort. »Barden sind nicht besser oder schlechter als andere Menschen. Vielleicht mag man uns das verzeihen.« Zelika biss sich auf die Lippe und erwiderte nichts darauf.
»Du wandelst durch sagenumwobene Höhlen«, zerbrach Saliman die darauffolgende Stille. »Selbst jene, die sie finden, überleben selten, um davon zu erzählen, es sei denn, sie haben einen Führer wie Hared, der den Takt des Labyrinths kennt.« »Wie ich gehört habe, gilt es in diesen Gefilden als geflügeltes Wort, von einem fintenreichen Burschen zu sagen, er sei verschlungener als die Höhlen von Burat«, fügte Soron hinzu. »Dabei wissen die meisten Menschen nicht, dass dies auf einenOrt zurückgeht, über den sie vielleicht tagtäglich gehen. Wie viele alte Sprichwörter enthält auch dieses einen wahren Kern, doch die Bedeutung hat sich verloren.« Danach hatte Hem versucht, im Verlauf der schier endlosen Abzweigungen das
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