Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
stämmiger Mann. »Schaut nicht auf. Lauft!«
Der Himmel war dunkel vor Vögeln. Sie flogen in dichten Formationen über die Straßen von Turbansk, in Schwärmen so groß, dass sie die Sonne wie mächtige Wolkenbänke verhüllten. Selbst bei jenem kurzen Blick, den Hem auf sie erhaschen konnte, hatte er gesehen, wie sie in Gruppen zu fünf, zehn oder fünfzehn Tieren herabstießen, um die Menschen auf dem Boden anzugreifen. Während sie rannten, hörte Hem das Surren von Bogensaiten und das dumpfe Pochen von zur Erde stürzenden Leibern, dann ertönte in der Ferne ein Aufschrei, gefolgt von einem weiteren. Die Vögel verursachten keinerlei Geräusche. Etwas sauste an seinem Ohr vorbei, als hätte ihn ein Schwert um Haaresbreite verfehlt, ein heftiger Luftzug, dann ein weiterer; schließlich prallte etwas gegen seinen Hinterkopf, als hätte ihn ein Stein getroffen. Zwar verspürte er keinen Schmerz, doch Panik ergriff Besitz von ihm. Hätte Soron nicht seinen Arm gehalten, er wäre blindlings und ziellos davongerannt. Plötzlich kehrte Irc auf seine Schulter zurück, krallte sich ängstlich daran fest und versuchte, sich in Hems Haar zu verstecken. Seine Klauen drückten so heftig zu, dass sie seinen Kittel durchstießen und seine Haut durchdrangen. Hem hörte Soron aufschreien, und etwas schnellte mit einem Laut von ihnen empor, der an das Zischen einer Flamme erinnerte. Er roch versengte Federn und erspähte plötzlich vor seinen Füßen einen Haufen kleiner, rauchender Körper. In jenem Augenblick erkannte er, dass es sich um Aaskrähen handelte, doch irgendwie wirkte ihre Gestalt absonderlich. Allerdings hatte er keine Zeit, um darüber nachzudenken. Es war nicht weit zum Vorratshaus, doch Hems Brust brannte bereits, bevor sie es erreichten. Soron stieß sie durch die zur Straße gelegenen Tür, die er hinter sich zuwarf, dann lehnte er sich mit bebender Brust dagegen und starrte die Kinder an, ohne sie wahrzunehmen. Sie warteten, bis sie alle wieder zu Atem gelangten, danach gingen sie zur Küche. Niemandem von ihnen war zum Reden zu Mute. Etwas kitzelte Hemam Hals, und er betastete die Stelle mit der Hand. Überrascht sah er, dass Blut seine Finger bedeckte.
Der Weg zur Küche führte durch eine mit langen, schmalen Fensterlaibungen gesäumte Galerie. An dessen Eingang zögerte Zelika, und als Hem ihr über die Schulter spähte, erkannte er den Grund dafür: Unter dem Ansturm der Krähen, die sich ungeachtet der Verletzungen, die sie sich selbst zufügten, gegen das Glas schleuderten, waren einige Fenster zerbrochen, andere gesprungen. Ein halbes Dutzend Krähen kreiste bereits wie ein Jagdrudel durch die Galerie. Irc krächzte erneut, diesmal vor Trotz und Wut, und Soron stieß einen Schrei aus. Ein mächtiger Blitz aus weißem Licht zuckte von seinen Händen und traf die Vögel. Sie gingen in Flammen auf und stürzten leise zu Boden, wo sie als stinkender Haufen verbrannter Federn endeten.Dann rannten die drei durch die Galerie weiter zur Küche, wo sie die schwere Holztür verschlossen vorfanden. Soron hämmerte brüllend dagegen, und ein verängstigter junger Barde, sein Helfer Edan, öffnete den Riegel und ließ sie hinein, ehe er rasch wieder hinter ihnen absperrte.
In der Küche herrschte Dunkelheit, weil alle Läden geschlossen waren. Auf dem Tisch brannte eine Lampe. Neben Edan waren noch einige andere Leute anwesend, von denen einige unverkennbar auf der Flucht vor den Vögeln von der Straße hereingerannt waren: Zwei bluteten aus Kopfverletzungen.
Hem, Zelika und Soron setzten sich und atmeten auf.
»Das sind keine gewöhnlichen Krähen«, stellte Hem fest. Es war seit langer Zeit das Erste, was einer von ihnen sagte.
»Nein«, pflichtete Soron ihm mit verkniffenen Zügen bei. »Ich habe Vergleichbares weder gesehen, noch davon gehört. Sie nehmen die Hohe Sprache nicht wahr, wie es alle anderen Tiere in Edil-Amarandh tun. Es muss sich um eine widerwärtige, der Natur entfremdete Brut des Namenlosen handeln, möge er verflucht sein.«
Das sind keine Angehörigen von mir, sagte Irc aufgebracht. Nun, da er sich in Sicherheit wähnte, erlangte er seine übliche Selbstsicherheit wieder und glättete mit dem Schnabel das zerrupfte Gefieder. Er schien unverletzt. Selbst meine Vettern, die mich hassen, würden so etwas nicht tun. Diese Vögel sind keine Tiere - sie sind wahnsinnig. Zelikas Augen wirkten düster und riesig. »Sie sind böse«, meldete sie sich zu Wort. »Verdorben.«
»Gab es so
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