Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
der tote Vogel zwei Köpfe hatte: ein zweiter, missgebildeter und unvollständiger Kopf wuchs ihm aus dem Hals. Von einem Gefühl tiefer Widernatürlichkeit überwältigt starrte er darauf; irgendwie erfüllte ihn dieser Anblick mit mehr Grauen als alles andere, was er an jenem Tag gesehen hatte. Danach ging er hinaus in den Garten und kämpfte stumm mit seiner Übelkeit. Nachdem sie die Ordnung in Salimans Gemächern einigermaßen wiederhergestellt und die schmiedeeisernen Läden für den Fall geschlossen hatten, dass die Vögel zurückkommen würden, kümmerten sie sich um den Rest des Hauses. In einem Großteil der Zimmer waren die Läden ebenfalls geschlossen, da die Bewohner längst nach Car Amdridh gereist waren. Zu ihrer Erleichterung entdeckten sie in Hems und Zelikas Zimmern keine toten Vögel. Es fühlte sich besser an, beschäftigt zu sein; sie wagten sich beide nicht noch einmal auf die Straße hinaus, und Hem fragte sich allmählich, wo Saliman steckte und was in der Stadt vor sich ging. Hinter allem vernahm er das tiefe, stete Grollen der Kriegstrommeln außerhalb der Stadt, dazwischen das vereinzelte Geschmetter von Hörnern. Die Geräusche schienen in seinem Schädel widerzuhallen. Bald darauf traf Saliman ein, sichtlich in Eile.
»Hem, Zelika - dem Licht sei Dank, dass es euch gut geht. Es tut mir leid, dass ich nicht eher hier sein konnte. Aber wie ihr euch vermutlich denken könnt, war ich beschäftigt.« »Wir haben aufgeräumt«, sagte Hem. Irc, der auf seiner Schulter kauerte, krächzte zustimmend. »Ein paar dieser … Krähen lagen auf dem Boden, die haben wir rausgeschafft.«
»Habt ihr sie berührt?«, fragte Saliman scharf.
»Nein«, erwiderte Zelika. »Wir dachten, sie könnten giftig sein.«
»Gut. Das sind sie. Oslar ist zutiefst besorgt wegen dieser Totenkrähen und zermartert sich noch immer den Kopf darüber, was wir mit ihnen tun sollen. Er glaubt, dass sie nicht nur geschickt wurden, um Angst und Schrecken zu verbreiten und so unsere Entschlossenheit zu schwächen, sondern auch, um Krankheiten in die Stadt zu schleusen - und ich fürchte, er hat Recht. Trotz all unseres Wissens über die Schwarze Armee haben wir damit nicht gerechnet, und ich muss gestehen, es hat unsere Verteidigung durcheinandergebracht. Auch denke ich, es wird nicht bei diesem einen Angriff bleiben: Imank wird davon ausgehen, dass unsere Kampfer erkranken und sterben, sich in Geduld üben und die Belagerungsmaschinen zurückhalten. Ich bin sicher, das ist der Grund, weshalb noch kein Angriff auf die Stadtmauern erfolgt ist und warum die Schwarze Flotte außerhalb unserer Reichweite ausharrt.«
»Also ist eigentlich noch gar nichts geschehen?«, fragte Hem.
»Noch nicht. Die Schwarze Armee füllt zwar mittlerweile den Gau von Turbansk aus, rührt sich aber nicht. Doch ich bin nicht hergekommen, um euch das zu erzählen. Ich bin nicht glücklich darüber, dass ihr in diesem Haus wohnt, und will, dass ihr in den Ernan zieht. Dort habe ich euch in meiner Nähe, zumal ich den Großteil meiner Zeit dort verbringen werde. Ich möchte, dass ihr rasch packt und mit mir kommt.« »Aber ich will kämpfen!«, begehrte Zelika mürrisch auf. »Ich will nichtwie ein Kind in einen Palast gesperrt werden, damit Ihr wisst, wo ich bin.«
»Wir befinden uns inzwischen im Krieg, Zelika«, erwiderte Saliman in einem Tonfall, der keine Widerrede duldete. »Wenn du eine Kämpferin sein willst, musst du Befehlen gehorchen wie jeder Kämpfer.«
Zelika begegnete Salimans Blick, forderte ihn jedoch nicht erneut heraus. »Ich habe nicht einmal ein richtiges Schwert«, sagte sie nach einer kurzen Pause.
»Auch dem lässt sich in der Waffenkammer des Ernan einfacher Abhilfe schaffen als hier«, gab Saliman zurück. »Niemand soll sich noch unbewaffnet auf die Straßen wagen, falls die Totenkrähen wieder kommen; tatsächlich habe ich mir bereits Gedanken über die richtige Ausrüstungfür euch gemacht. Hem, geht es dir gut? Du siehst sehr blass aus.«
Hem war seit der Ankunft im Bardenhaus schwindlig. Das Gefühl hatte sich stetig verschlimmert, insbesondere nachdem er sich übergeben hatte, doch er dachte, dies seien nur die Nachwehen des Angriffs der Vögel von jenem Vormittag. »Es geht mir gut«, antwortete er. »Ich hole nur rasch meine Sachen.« Er wandte sich ab, um aus dem Zimmer zu laufen, und stellte fest, dass die Beine unter ihm einknickten, als gehörten sie ihmgar nicht. Zu seiner Überraschung fand er sich auf dem
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