Die Pellinor Saga Bd. 3 - Die Krähe
etwas wie das in Baladh?«, fragte Hem.
»Nein«, antwortete Zelika. Mehr jedoch äußerte sie dazu nicht.
»Eclan«, sagte Soron. »Wir brauchen Tee. Ich bin ein wenig außer Atem. Würdest du welchen für die guten Leute hier brauen? Pfefferminz, würde ich vorschlagen. Unsere Mägen sind allesamt etwas aufgewühlt. Und im Kühlraum sind noch Kümmelkuchen, die ich heute Morgen gebacken habe. Könntest du die holen?«
Edan begann, Wasser zu kochen. Zelika und Hem sprangen auf, um ihm zu helfen. Im Zuge der alltäglichen Aufgaben, Essen vorzubereiten und aufzutischen, löste sich der Rest ihrer Panik auf. Hem fragte sich, was draußen auf den Straßen vorgehen und was den Bogenschützen auf den Mauern widerfahren mochte.
Bestimmt konnten nur Barden mit ihrer Zauberkraft die mordlüsternen Vogelschwärme abwehren. Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Furcht fand er, dass die Kümmelkuchen besonders gut schmeckten.
Der Angriff der Krähen schien lange zu dauern. Da weder Zelika noch Hem sich hinauswagen konnten, halfen sie Soron in der Küche, wobei sie mit einem Ohr stets auf das leise und bedrohliche Pochen gegen die Fensterläden lauschten. Dann verstummte es plötzlich. Hem, der gerade Wurzelgemüse für eine Suppe gehackt hatte, hielt inne und schaute zu Zelika. Ohne ein Wort begaben sich beide zur Küchentür, pressten die Ohren gegen das Holz und versuchten zu hören, was draußen vor sich ging. Dann öffneten sie die Tür vorsichtig.
Der Himmel war klar, und die Kinder blinzelten angesichts des hellen Sonnenscheins, der sich auf die warmen Steinwände ergoss. In der schmalen Gasse vor der Küche stapelten sich etliche tote Vögel in kleinen Haufen auf dem Boden, und überall lag ein Gewirr schwarzer Federn verstreut. Sie türmten sich gegen die Mauern der angrenzenden Gebäude. In den kunstfertig geschmiedeten Eisengittern einiger Fenster hatten sich tote Vögel verkeilt.
»Sie müssen herabgestoßen sein und sich das Genick gebrochen haben!«, rief Zelika verblüfft aus.
Sie sind wahnsinnig - das habe ich doch gesagt, meldete Irc sich zu Wort und krächzte zur Betonung.
Hem betrachtete das Chaos schweigend. Die völlige Rücksichtslosigkeit des Angriffs erfüllte seine Eingeweide mit Grauen. Wenn sie zu so etwas fähig sind, dachte er, bin ich froh, dass keiner auf meinem Kopf gelandet ist.
»Wir sollten nach Hause gehen, solange wir können«, schlug er vor. »Womöglich kommen sie zurück.«
»Sie kommen bestimmt zurück«, berichtigte Zelika ihn verächtlich. »Nicht womöglich.«
Hastig bedankten sie sich bei Soron, der zwar beunruhigt wirkte, aber ihr Vorhaben nicht in Frage stellte, zumal Salimans Bardenhaus unweit des Vorratshauses lag. Dann holten sie tief Luft und rannten nach Hause, wobei sie die ganze Zeit fürchteten, ein weiterer Schwärm könnte die Sonne verdunkeln. In der Stadt herrschte Totenstille: Sie schienen die einzigen Menschen zu sein, die sich im Freien befanden. Jede Straße war dermaßen von Krähenkadavern übersät, dass es sich schwierig gestaltete, nicht darauf zu treten, obschon ihre Füße das Gefühl der weichen Leiber unter sich hassten. Einmal sahen sie den Leichnam eines Soldaten auf der Straße liegen. Selbst aus der Ferne erkannte Hem, dass es keinen Sinn hatte, hinzugehen und zu überprüfen, ober noch lebte. Stattdessen wandten sie die Augen ab und rannten noch schneller.
Sie fanden das Bardenhaus verlassen vor. Zögerlich suchten sie Salimans Gemächer auf, in denen die zerschmetterten Körper von fünf Krähen lagen. Als Hem das wunderschöne Zimmer derart entweiht sah, erfüllte ihn eine plötzliche Wut: Dieser Ort war ihm mehr eine Heimat als jeder andere, den er je gekannt hatte. Er bückte sich, um einen der Kadaver aufzuheben, doch Zelika hielt ihn am Arm zurück.
»Berühr sie nicht«, warnte sie ihn. »Sie könnten giftig sein.«
Das sah Hem ein, und so suchten sie Handschaufeln und Besen, um das Zimmer aufzuräumen, so gut sie konnten. Hem musterte die toten Vögel eingehend: Aus der Nähe betrachtet, wiesen sie herzlich wenig Ähnlichkeit mit Krähen auf. Zwar hatten sie etwa dieselbe Größe und waren schwarz, aber die Köpfe waren zu groß und die Flügel irgendwie missgebildet. An den Köpfen wuchsen kaum Federn, um die Augen und am Hals prangte nackte, graue, stoppelige Haut. Sie besaßen den wilden Hackschnabel von Krähen, allerdings schien auch dieser zu groß. Als Hem einen Kadaver behutsam auf die Handschaufel hob, sah er, dass
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