Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
kaum glauben. Nun, ich denke, es hat keinen großen Sinn, ihn in sein Zimmer zu verbannen; es würde dir nur unnötigen Arger bescheren.«
Edadh wirkte erleichtert. »Ich bin froh, das zu hören, Saliman«, sagte er. »Wenngleich ein wenig überrascht, wie ich gestehen muss; vielleicht sah er letzte Nacht kränker aus, als er tatsächlich war, allerdings müsste ich dann annehmen, dass meine Heilkräfte mich allmählich verlassen.«
»Nimm lieber an, dass du vor Heilkräften strotzt wie nie zuvor«, erwiderte Saliman lächelnd. »Und dass sie zu einer wundersamen Besserung geführt haben.« Edadh wandte sich Hem zu und breitete die Hände aus. »So geh denn. Mein Wohlwollen begleitet dich.«
Beschwichtigt verneigte sich Hem. »Und das meine Euch«, gab er zurück. »Vielen Dank für Eure Fürsorge.«
»Du kannst gleich mit mir kommen«, sagte Saliman zu Hem. »Hast du dein Bündel dabei?«
Hem rannte nach oben, um das Bündel zu holen, das auf seinem Bett lag, und kehrte rasch zu Saliman zurück. Wenngleich ein Frühstück sein höchstes Anliegen war, verspürte er auch Neugier auf Til Amon. Wie die meisten Schulen Annars war die Stadt als eine Reihe konzentrischer Kreise angelegt. Die Hauptstraßen verliefen wie Speichen durch die Kreisstraßen. Hem fand Til Amon nicht so wunderschön wie Turbansk. Die Gebäude bestanden aus grauem Stein statt aus jenem rosigen, aus dem die meisten Bauwerke in Turbansk errichtet worden waren, und hier gab es nicht einmal Ansätze von Frühlingsgrün. Kahle Ulmen und Linden breiteten ihr triefendes Geäst vor dem Stein aus, und das einzige Grün, das Hem entdecken konnte, stammte von Efeu, Tannen und Eiben. Ein grauer Regenschleier verhüllte die Sicht auf den See und die Berge. Im trüben Winterlicht fand Hem insgeheim, dass Til Amon ein wenig trostlos wirkte.
Während sie raschen Schrittes zum Speisesaal marschierten, berichtete ihm Saliman, dass Soron und er sich bereits mit dem Obersten Zirkel von Til Amon beratschlagt hatten. »Sie waren nicht gänzlich unvorbereitet«, sagte er. »Sie haben ihre eigenen Wege und Mittel, um Neuigkeiten zu erfahren, und waren sich bereits bewusst, dass die Schwarze Armee vermutlich zuerst in Richtung dieser Schule marschieren würde, wenn sie aus dem Süden heraufkäme. Trotzdem ist es ein heftiger Schlag; sie erwarten außerdem täglich Neuigkeiten über eine Armee, die von Norloch aus marschiert.«
»Aber noch ist kein Heer eingetroffen?«, fragte Hem.
»Noch nicht. Sie haben über Lauchomon bis zur Weststraße Kundschafter postiert. In II Arunedh und Eledh sammelt man selbst Neuigkeiten und steht natürlich in Verbindung mit hier … Die größte Angst besteht vor allem darin, dass Armeen gleichzeitig aus dem Süden wie auch aus dem Norden angreifen könnten.« Hem schwieg und dachte an die Belagerung von Turbansk zurück. Plötzlich ereilte ihn die Vision einer Linie aus Flammen, die von Süden nach Norden und von Westen nach Osten über Annar kroch, alles in ihrem Weg verschlang und ein Ödland aus Asche und Verheerung zurückließ. Dies öffnete eine schwarze Grube der Hoffnungslosigkeit in ihm, und er schüttelte den Kopf, um die düsteren Gedanken zu vertreiben. »Wo ist Soron?«, wollte er wissen.
»Im Bardenhaus«, antwortete Saliman. »Wir suchen etwas zu essen für dich, danach treffen wir uns mit ihm.«
Hem - und Irc - frühstückten ausgiebig. Es war lange her, dass Hem zuletzt gute, schlichte annarische Küche genossen hatte. Er aß Hefebrot mit Unmengen blasser kühler Butter und Honig, ein Stück harten gelben Käse, gekochte Eier, Räucherschinken und verschiedene köstliche Fleischpasteten mit Kräutern. Saliman, der bereits gespeist hatte, schenkte sich einen Krug Bier ein und sah dem Jungen beim Schmausen zu, wobei Belustigung in seinen dunklen Augen funkelte. »Ich kann nicht behaupten, dass dein Appetit geschwunden wäre, seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind, Hem«, meinte er. »Auch wenn sich sonst viel geändert hat.«
Hem griff sich eine weitere Scheibe des knusprigen weißen Brots, das Saliman dem Bäcker abgeschwatzt hatte. »Es ist nicht so, dass mir das Essen in Suderain nicht schmeckt«, meinte er mit vollem Mund. »Es ist rundweg köstlich. Aber ich finde trotzdem, dass frisches annarisches Brot das köstlichste der Welt ist…«
»Es gibt Augenblicke, da bin ich geneigt, dir zuzustimmen«, erwiderte Saliman. »Dennoch ist der Geruch süßen Fladenbrots frisch aus dem Ofen der Duft der Heimat für
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