Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
große Dichterin Lorica«, sagte Karim mit gedämpfter Stimme. »Ich empfinde es stets als besonderes Vorrecht, ihre Worte zu sprechen.«
»Das ist es auch«, meinte Hekibel. »Aber jetzt sollten wir essen.«
Während des Großteils des Essens vermieden sie es, über die Schwarze Armee oder den Krieg in Suderain zu reden. Saliman hatte zu Hem gemeint, sie sollten besser nicht zu erkennen geben, dass sie Barden waren, und sich stattdessen als Flüchtlinge aus dem Süden ausgeben, die nach Norden flohen. Was, wie Hem insgeheim dachte, nicht weit von der Wahrheit entfernt war. Der Eintopf schmeckte im Vergleich zu der Reisekost, die sie seit dem Aufbruch aus Nal-AkBurat gegessen hatten, köstlich und sogar gemessen an Sorons Kochkünsten achtbar. Zudem holte Karim einen überraschend guten Wein hervor. »Wozu sich einschränken?«, meinte er, während er die letzten Fleischreste von einem Knochen nagte. »Wir sind wie Wandervögel, stets unterwegs - aber sollen wir deshalb leiden? Es bedarf nur ein wenig Planung. Zugegeben, unsere Vorräte neigen sich allmählich dem Ende zu - wir waren erleichtert, die Straße wieder gefunden zu haben -«
»Wären wir auf der Straße geblieben, wären wir erst gar nie davon abgekommen«, warf Hekibel ein und wandte sich an Saliman. »Immer diese Abkürzungen.« »Man weiß nie, wann man auf ein einsames Dorf oder einen abgeschiedenen Weiler stößt, wo es die Menschen nach unserer Kunst dürstet.« Mit einer weiteren schwungvollen Armbewegung warf Karim seinen Knochen weg.
Karim faszinierte Hem: Selbst unter den hochtrabendsten Höflingen in Turbansk hatte er nie jemanden gesehen, der mit derart ausschmückenden Gesten sprach, und seine Stimme war kräftig und volltönend wie die der besten Sänger. Im Gegensatz dazu drückte Marich sich schlicht aus und neigte zu Einsilbigkeit, wenngleich er bald in ein angeregtes Gespräch mit Soron über die Freuden der Küche vertieft war. Hem fand, dass Marich schüchtern wirkte, was für jemanden, der vor Fremden auftrat, seltsam anmutete. Irc schloss Marich und Hekibel auf Anhieb ins Herz, da sie ihn großzügig mit Leckerbissen versorgten. »Er ist ein bezauberndes Haustier«, meinte Hekibel und lachte, als Irc vor ihr tänzelte, als er um mehr Essen bettelte. »Du hast ihn gut erzogen. Wo hast du ihn gefunden?«
Hem verkniff sich die Entgegnung, dass Irc kein Haustier sei, und erzählte ihr stattdessen, wie er die Krähe vor einem Angriff von ihresgleichen gerettet hatte, als sie noch ein Küken war. »An sich ist er eine weiße Krähe«, fügte er hinzu. »Derzeit sieht er ein wenig schmutzig aus, weil wir ihn färben mussten und die Farbe noch nicht ganz aus seinem Gefieder ist.«
»Ja, man kann erkennen, dass er mit weißen Federn sehr schön sein muss«, meinte Hekibel. Irc, der mitbekam, dass über ihn gesprochen wurde, putzte sich. »Ich fürchte, er ist sehr eitel«, sagte Hem liebevoll. »Aber sehr treu.« Karim schien vorwiegend über sich selbst zu reden. Wie die beiden anderen Schauspieler war er ein hellhäutiger Annarer, und er besaß einen grauen kurz gestutzten Bart rings um das Kinn. Ursprünglich, so berichtete er ihnen, stammte er aus Nord-Annar, war jedoch als junger Mann nach Lok gereist, um dort sein Handwerk zu erlernen. Das letzte Jahr hatte er mit Hekibel und Marich zusammengearbeitet, und sie waren quer durch Süd-Annar gereist. Nun waren sie wie die Barden unterwegs nach Til Amon.
»Wir haben die Gesellschaft beim letztjährigen Frühlingsvolksfest in Lanorial gegründet«, erklärte er. »Wenn ich auf ungeschliffene Begabung stoße, wie sie in diesen beiden glänzt, reiche ich die Früchte meiner reichen Erfahrung in diesem Handwerk gern weiter, und so jugendlich sie auch sein mögen, sie trinken dankbar aus dem Kelch des Alters. Ich möchte meinen, dass unsere bescheidene Truppe unserem Berufsstand keine Schande bereitet.« »Ich bin sicher, ihr vertretet ihn würdig«, erwiderte Saliman höflich. »Es ist eine sehr ehrenwerte und ehrbare Kunst.«
»In der Tat«, pflichtete Karim ihm bei und musterte ihn mit verengten Augen. »Wie ich sehe, seid Ihr ein Mann der Kultur. Zweifellos wart Ihr einst eine bedeutende Persönlichkeit in Turbansk. Nun«, fuhr er fort und seufzte voll dramatischer Schwermut, »wir habe alle bessere Tage erlebt.«
Hekibel wirkte verlegen und bot hastig noch mehr Wein an, doch Saliman lehnte ab. Uber den Ebenen war der Vollmond aufgegangen, und Saliman und Soron wollten Weiterreisen,
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