Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
öffnete sich ein Abgrund in ihr. Es war mehr als Todesangst, wenngleich dies einen Teil davon bildete; was sie jedoch mehr als alles andere ängstigte, war, wie verloren sie sich gefühlt hatte, die schwindelerregende Unendlichkeit des Raumes, der sich in ihr aufgetan hatte. Es war weit seltsamer als der Verlust ihrer selbst, wenn sie sich in eine Wölfin verwandelte; dies war etwas tief in ihr, während jene andere, neue Erfahrung sich weit außerhalb, in unermesslicher Ferne abgespielt zu haben schien… Stockend versuchte sie, es für Cadvan in Worte zu fassen, und er nickte mit finsterer Miene.
»Maerad, das Universum ist endlos«, sagte er und starrte ins Feuer. »Das ist etwas, das auch nur ansatzweise zu begreifen den Menschen schwerfällt. Wie kann sich etwas ewig fortsetzen? Wie kann es keinen Punkt geben, an dem alles endet? Und doch ist es so … und ich vermute, du bist eine von wenigen, die das persönlich erfahren hat…«
Maerad schauderte. »Alles war - schwarz. Und leer. Ich kann es nicht besser erklären. Es war eine so gewaltige Entfernung, dass Zeit keine Bedeutung hatte, überhaupt keine.«
»Es gibt eine alte Geschichte aus Lanorial über einen König, der mit einem Barden sprach, welcher seinen Hof besuchte«, sagte Cadvan. »Der König fragte den Barden, was ein Menschenleben sei. Der Barde antwortete: >Stellt Euch vor, draußen herrscht Nacht, und eine Schwalbe fliegt durch ein Fenster Eures Hofes herein, Majestät, und durch ein anderes wieder hinaus. Für einen kurzen Augenblick, einen Lidschlag, huscht sie durch das Licht, dann umfängt sie wieder Dunkelheit. Das Leben ist dieser kurze Augenblick des Lichts, nicht mehr, nicht wenigere«
Eine Weile saß Maerad schweigend und grübelnd da. »So ähnlich war es«, meinte sie schließlich. »Diese riesige Finsternis. Nicht einmal ein Schwalbenflug ist kurz genug… ich habe gar keine Erinnerung an Licht. Ich selbst war überhaupt nichts. Wie ich zurückgekommen bin, weiß ich nicht.«
»Das Wichtige ist, dass du zurückgekommen bist.«
»Weil du mich gerufen hast, oder?«
Cadvan zögerte. »Ich denke schon«, meinte er. »Zumindest weiß ich, dass ich dich gerufen habe, und vielleicht war es das, was du gehört hast.«
»Du warst es.« Maerad schaute zu Cadvan auf, doch er hatte das Gesicht abgewandt. »Woher wusstet du, wie du mich finden könntest?«
»Ich wusste es nicht.« Er verstummte wieder kurz. »Ich dachte, ich hätte dich verloren.«
Maerad konnte seine Miene nicht sehen, doch bei seinen Worten setzte ihr Herz einen Schlag aus. Einst hatte sie befürchtet, dass Cadvan nur deshalb etwas an ihr lag, weil sie die Ausersehene verkörperte, die laut den Prophezeiungen der Schlüssel zur Niederlage des Namenlosen war. Mittlerweile wusste sie, dass er sie um ihrer selbst willen schätzte, als Freundin; in letzter Zeit jedoch hatte er Dinge gesagt, die mehr zu bedeuten schienen. Der Gedanke verwirrte und erschreckte sie, und sie verdrängte ihn. Natürlich waren sie und Cadvan einander lieb und teuer: Das musste er meinen. Keiner von ihnen erwähnte Arkan, den Winterkönig, obwohl die Vorstellung von ihm wie ein dunkles, beunruhigendes Unwetter zwischen ihnen schwebte. Seit Maerad und Cadvan sich in Pellinor wiedergefunden hatten, war zwischen ihnen selten ein Wort über ihn gefallen. Sie wusste nicht ansatzweise, wie sie ihre Gefühle für Arkan schildern sollte. Manchmal - meistens -erschienen sie ihr völlig haltlos, die Vernarrtheit eines dummen Mädchens, und sie schämte sich dafür. Und dennoch … Woran lag es, dass ihr Herz beim Gedanken an seine Stimme anschwoll? Sie hasste den Winterkönig. Er hatte Dharin getötet, und seinetwegen hatte sie ihre Finger verloren. Und dennoch…
Ungeduldig schüttelte Maerad den Kopf. Sie war zu erschöpft, um nachzudenken, trotzdem musste sie es tun; die Gegenwart des Winterkönigs gestaltete alles noch verworrener. Mit einer seltsamen Mischung aus Grauen, Verzweiflung und Erregung ging ihr durch den Kopf, dass er wusste, wo sie sich befand. Vielleicht war er selbst gar nicht fern. Der Landrost war eine Sache, der Winterkönig eine völlig andere. Und nun stand sie in Arkans Schuld: Er hatte ihr das Leben gerettet.
Während sie ins Feuer starrte, versuchte sie, sich über ihre Gefühle klar zu werden. Warum hatte sie plötzlich so entsetzliche Angst? Alles war noch genauso Furcht erregend wie beim Aufziehen der ersten Wolken des Sturmes über Inneil. Nun jedoch vermeinte sie, von
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