Die Pellinor Saga Bd. 4 - Das Baumlied
Tatsächlich war Indik entsetzt über Maerads früheren Zustand gewesen und hatte sich selbst getadelt. Es erschien ihm nicht richtig und es verletzte seinen Kriegerstolz, sich für den Sieg gegen einen solch Furcht einflößenden Feind so sehr auf ein zartes Mädchen zu verlassen, so erstaunlich dessen Fähigkeiten auch sein mochten. Ein solches, noch kaum der Kindheit entwachsenes Geschöpf sollte bei Indik Schutz suchen, nicht umgekehrt… und dennoch, was hatten sie für eine andere Wahl? Während Indik stoisch Wache hielt, wogte der Nebel über die Ausläufer der Berge und begann sich in Inneils Richtung auszubreiten. Die Luft war völlig unbewegt, was das Gefühl wachsender Spannung verstärkte. Auf beiden Seiten der Mauer haftete jedem Geräusch eine unnatürliche Klarheit an. Indik konnte hören, wie die Soldaten in der Nähe leise miteinander redeten oder in der Kälte mit den Füßen stampften, wie die Männer außerhalb des Mauerrings sich bewegten, Feuer anzündeten, ihr Lager aufschlugen, wie in der Ferne ein Hund bellte, wie in unregelmäßigen Abständen Metall klirrte, Schritte auf den Steinstraßen hallten. Dann erreichte der Nebel überraschend schnell Inneil und umhüllte alles wie ein weißes Meer. Jeder Laut erklang schlagartig gedämpft und verzerrt, sodass Indik die Richtung nicht mehr bestimmen konnte, aus der die Geräusche kamen. Er stieß einen leisen Fluch aus; es war unmöglich, weiter als zehn Spannen vor seine Nase zu sehen. Unter ihm hatten sich die von den Gebirgsmenschen angezündeten Feuer in der Dunkelheit in rosige Schemen verwandelt. Er drehte sich um und starrte über die Straßen von Inneil; verschwommene Umrisse von Gebäuden zeichneten sich durch den Nebel ab, gekennzeichnet von fahlen Lichtblüten, wo bardische Lampen die Straßen erhellten, abgesehen davon konnte man nichts erkennen.
Indiks Kriegersinne regten sich: Er misstraute dieser Ruhe. Der kampferprobte Barde schärfte sein Gehör und nahm Gedankenverbindung zu Cadvan auf. Ja?, meldete Cadvan sich sofort.
Wie geht es Maerad?
Indik spürte die Zweifel in Cadvans Geist und wartete. Etwas besser als zuvor, antwortete Cadvan schließlich.
Vermag sie zu sagen, ob dieser Nebel das Werk des Landrosts ist? Eine weitere Pause entstand, als Cadvan die Gedanken Maerad zuwandte und Indik aussperrte. Der Krieger starrte weiter mit allen Sinnen auf der Hut in die Schwärze. Keine Sterne, kein Mond, dachte er. Heute wird die schwärzeste aller schwarzen Nächte…
Cadvans Stimme durchbrach seine Grübelei. Sie meint, es sei schwer zu sagen, meldete er sich. Sie denkt, dass er wahrscheinlich von ihm heraufbeschworen wurde. Ich persönlich halte den Nebel für keine natürliche Witterungserscheinung. Und Maerad glaubt, dass der Landrost sich nah an den Toren aufhält. Indik überlegte kurz, dann bat er Cadvan um dessen ehrliche einung: Würde Maerad in der Lage sein, ihnen beim Kampf gegen den Landrost zu helfen, oder hatte sie bereits zu viel getan?
Sie glaubt, sie kann uns helfen, erwiderte Cadvan. Nur kann sie nichts versprechen. Sie wird ihr Bestes geben.
Indik dankte Cadvan und wandte sich wieder seinen Überlegungen zu. Er bezweifelte nicht, dass Maerad ihr Bestes geben würde. Allerdings hätte er viel dafür gegeben zu wissen, was ihr bestes war.
Stunde um Stunde schritt die Nacht träge voran, und nichts geschah, außer dass es kälter wurde. Der Nebel hatte alles mit gefrierendem Tau überzogen, und die Hauptleute ließen die Wachen auf den Mauern wechselweise den endlosen Dienst versehen, um sie regelmäßig von der feuchten, betäubenden Kälte und dem ewigen Starren in undurchdringliche Dunkelheit zu erlösen. Die Spannung über Inneil steigerte sich, bis sie unerträglich wurde.
Im Wachhaus herrschte ein ständiges Kommen und Gehen der Barden, die von den Mauern zurückkehrten, um sich vor dem Feuer aufzuwärmen. Maerad hörte zu zittern auf und spürte, wie sich nach und nach wieder Wärme in ihrem Körper ausbreitete. Malgorn kam von der westlichen Mauer zurück, wo er die Verteidigungseinrichtungen überprüft und einige davon zu den Toren bringen lassen hatte, zumal sich dort der Großteil der Gebirgsmenschen scharte.
»Es ist schwer abzuschätzen, wie viel genug ist«, meinte er und schenkte sich Wein ein. »Ich vermute, wenn der Angriff erfolgt, werden die Werwesen dort eingesetzt, wo wir am schwächsten sind. Wenigstens verschleiert dieser Nebel unsere Bewegungen ebenso sehr wie die des Landrosts.« In
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