Die Pelzhändlerin (1. Teil)
ihre Schlafkammer, setzte sich auf das Bett, brach das Siegel auf und las:
Geliebte Sibylla, meine Liebste,
wo bist du? Ich warte so sehr auf dich. Was ist mit dir? Warum kommst du nicht? 13 Mal schon stand ich am Mainufer, zitternd vor Vorfreude auf dein Kommen. 13 Mal war meine Vorfreude vergebens. Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich tun soll. Ich fühle mich am Rande eines Abgrundes, dessen Tiefen den Tiefen der Hölle gleichen.
Warum lässt du mich warten? Warum erhalte ich kein Wort, kein Zeichen von dir?
Sibylla, ich flehe dich an: Komm zu mir. Bitte.
Isaak
Tränen stiegen in Sibyllas Augen. Sie weinte so lange, bis sie keine Tränen mehr hatte. Dann griff sie entschlossen nach Papier und Feder und schrieb:
Lieber Isaak,
Florenz war ein Traum, aus dem ich nun erwacht bin. So hoch die Flammen der Liebe und Leidenschaft auch dort gelodert haben, so verloschen ist jetzt alles Feuer in mir, die Glut zu kalter Asche geworden.
Nein, Isaak, ich werde dich nicht mehr sehen. Du brauchst nicht mehr am Mainufer zu warten, denn ich werde nicht kommen. Schenk deiner Frau die Liebe, die für mich bestimmt ist, und ich versichere dir, du wirst eines Tages glücklich werden.
Es ist vorbei, Isaak. Für immer vorbei.
Sibylla
Sibylla, mein Herz, mein Leben,
ich glaube nicht, was du mir geschrieben hast. Es kann nicht sein, dass die Glut in dir erloschen ist, dein Herz erkaltet. Deine Worte waren wahr und ehrlich. Du bist keine Lügnerin. Ich weiß nicht, aus welchem Grund du mich nicht sehen möchtest, doch ich flehe dich an: Komm nur einmal noch. Sprich noch einmal mit mir, ich bitte dich.
Oder, Sibylla, beweise mir, dass alles, was in Florenz zwischen uns geschehen ist, nur ein grausames Spiel von dir war, jedes Wort eine Lüge, jede Liebkosung ein Verrat. Beweise es mir, indem du mir schreibst, dass du mich nicht mehr liebst, dass du mich nie geliebt hast.
Isaak
Isaak,
es ist wahr. Ich habe gelogen in Florenz. Doch jetzt spreche ich die Wahrheit: Ich liebe dich nicht, habe dich nie geliebt.
Und trotzdem: Gott schütze und behüte dich.
Sibylla
Sibyllas Tränen tropften auf das Papier, als sie diese Worte schrieb. Ihre Hand zitterte. «Verzeih mir, Isaak, verzeih mir, wenn du kannst. Ich muss dir Schmerz zufügen, um dir größeres Leid zu ersparen. Um uns größeres Leid zu ersparen. Unsere Liebe hat hier kein Zuhause, und ich kann nicht darauf hoffen, dass sich das jemals ändert. Gott schütze dich und Gott vergebe mir», flüsterte sie leise vor sich hin, während ihr die Tränen heiß über die Wangen rannen.
Dann faltete sie das Schreiben, siegelte es und ließ einen Boten kommen, den sie in die Schäfergasse schickte. Zum letzten Mal. Sie wusste es.
Die nächsten Monate ließen Sibylla um Jahre altern. Zwar wuchs der Umfang ihres Leibes, doch der Rest des Körpers wurde immer schmaler. Ihre Augen blickten glanzlos und beinahe erloschen in die Gegend, ihre Lippen waren farblos, die Haare stumpf. Doch das Schlimmste war Sibyllas Schweigen. Hatte sie früher manchmal zu viel geredet, so sprach sie jetzt nur noch das Allernötigste. Seit sie aus Florenz zurückgekehrt war, hatte man sie nicht lachen und nicht singen gehört.
«Was ist Euch in Italien geschehen?», fragte Barbara besorgt.
«Nichts. Es ist alles in Ordnung», erwiderte Sibylla und verließ die Küche, ohne den neuesten Brunnenklatsch abzuwarten.
Dabei hätte Barbara so viel zu erzählen gehabt! Die Kunde, dass Sibylla von Jakob Fugger den Auftrag für einen Mantel erhalten hatte, war inzwischen bis zu den Mägden am Brunnen gedrungen. Ein Kaufmann aus Lübeck hatte abends in einer Schankwirtschaft mit seinem Wissen geprahlt, und Barbara hatte es bestätigen können. Ja, es stimmte, die Kürschnerei in der Krämergasse war dabei, einen Mantel aus blau gefärbten Hermelinfellen für die Fuggerin in Augsburg zu fertigen.
Barbara war stolz auf ihre Herrin, stolz darauf, in einem so vornehmen Haus zu arbeiten. Und sie war sich sicher, dass die Neuigkeit vom Fugger-Mantel dafür sorgen würde, dass das Geschäft von nun an noch besser lief.
Und sie behielt Recht. Hatten sich die Kunden früher schon die Klinke gegenseitig in die Hand gegeben, so strömten sie jetzt in Scharen herbei.
«Wir brauchen noch ein, zwei Kürschnergesellen», stöhnte Heinrich. Sibylla schwieg, nickte und beauftragte Heinrich schließlich, selbst nach guten Leuten Ausschau zu halten. Doch nicht nur die Kürschnerei, auch Meister Schulte und die Einrichterei erzielten
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