Die Pelzhändlerin (1. Teil)
ihrem Leben glücklich gewesen. Glücklich und ganz und gar im Frieden mit sich selbst. Und doch musste sie zurück. Musste den Weg, den sie mit 16 Jahren eingeschlagen hatte, bis zu Ende gehen.
Sie wagte nicht, Isaak anzusehen, bemerkte jedoch, wie auch er sich plötzlich versteifte.
«Ich hatte gehofft, dass die Liebe dir mehr wert ist als Geld und Ruhm», sagte er und löste sich aus ihren Armen.
«Nein, Isaak, das ist es nicht. Es geht mir nicht um Geld und Ruhm.»
«Worum geht es dir dann?», fragte er.
Sibylla schwieg. Was sollte sie ihm antworten? Worum ging es ihr denn? Ihr ganzes Leben lang hatte sie gekämpft. Ja, aber wofür?
Unabhängigkeit. Befreiung von den Schatten. Anerkennung und Achtung. Liebe. Auch das.
Und jetzt hatte sie das alles, und doch reichte es ihr nicht. Was wollte sie noch?
Ich bin nicht für das Glück gemacht, dachte sie. Ich darf nicht glücklich sein auf Dauer, ich kann es auch nicht. Zu sehr habe ich gesündigt. Habe mich selbst an einen Platz gestellt, der mir nicht zustand. Nun muss ich an diesem Platz verharren. Das ist wohl der Preis.
Kapitel 22
Übelkeit quälte Sibylla. Immer wieder musste sie sich erbrechen.
Sechs Wochen waren sie nun schon unterwegs, hatten Italien hinter sich gelassen, die Alpen überquert. Im Bayerischen waren sie inzwischen, die große Stadt war München ganz in der Nähe.
Das Rütteln der Wagen auf den unbefestigten Straßen steigerte ihr Unwohlsein. Blass und elend lehnte sie in der Ecke des Wagens. Auch die Hitze machte ihr zu schaffen. Nur wenig half es, dass Isaak ihr Luft zufächelte.
Er reichte ihr ein kleines Fläschchen. «Hier, riech daran, dann wird es dir besser gehen.»
Sibylla lächelte. Sie wusste, dass ein Auszug aus Pfefferminze nichts gegen ihre Übelkeit ausrichten würde. Doch sie nahm das Fläschchen, roch daran, verrieb einige Tropfen auf ihrer Stirn.
Sie gab Isaak das Fläschchen zurück, schloss die Augen. Das gleichmäßige Rattern der eisenbeschlagenen Wagenräder machte sie müde. In Gedanken kehrte sie zurück nach Florenz, zurück in die Toskana. Sie dachte an die beiden Tage, die sie mit Isaak in Lucias Landhaus verbracht hatte, an das seltsame Gespräch über Ida und die Vorkommnisse in Engelthal. Wie oft hatte sie sich seither gefragt, ob und was Isaak von ihr wusste. Er liebte sie, liebte sie von ganzem Herzen und mit aller Kraft. Jeden Tag konnte sie es spüren. Doch mit keinem einzigen Wort hatte er seinen Vorschlag, mit ihr für immer in Florenz zu bleiben, noch einmal erwähnt. Es war, als hätte er dieses Gespräch vergessen, als hätte es nie stattgefunden.
«Was wird aus uns?», hatte er nur gefragt. «Wie geht es weiter, wenn wir wieder in Frankfurt sind? Ich kann nicht leben ohne dich, brauche dich wie die Luft zum Atmen.»
«Ich weiß es nicht. Alles wird sich finden», hatte Sibylla erwidert – und gelogen. Denn sie wusste längst, dass es nicht weitergehen konnte, nicht weitergehen durfte mit ihnen. Der Grund dafür war die Übelkeit. Sie war schwanger von Isaak seit der Nacht im Olivenhain. Eigentlich fühlte sie sich für eine Schwangerschaft zu alt. Sie war jetzt 28 Jahre, hatte ein großes Geschäft zu führen. Da blieb keine Zeit, kein Raum für ein Kind. Sie hatte sogar überlegt, zu einer Zauberschen zu gehen, um das Kind wegmachen zu lassen. Doch dann hatte sie diesen Gedanken verworfen. Das Kind würde das Einzige sein, das ihr von Isaak blieb. Selbst wenn er nie davon erfahren würde, dass es sein Kind war. Ja, Sibylla war fest entschlossen, die Schwangerschaft zu verheimlichen. Isaak hatte eine Frau. Isabell wartete in Frankfurt auf ihn. Auch einen Sohn hatte er, Adam, benannt nach Isaaks Vater. Sibylla hatte kein Recht, ihn diesen beiden zu nehmen. Berichtete sie ihm von der eigenen Schwangerschaft, so brachte sie ihn damit in die allergrößte Verlegenheit. Vielleicht würde er auch in Frankfurt mit ihr leben wollen, seine Familie verlassen. Das aber würde die Kirche niemals dulden. Ehebruch wurde mit Exkommunikation bestraft, Isabell wäre zum Gespött der Leute gemacht, und Isaak würde seinen Beruf nicht mehr ausüben können, seinen Platz im Rat räumen müssen. Wer würde sich schon von einem Arzt behandeln lassen, den die Kirche verstoßen hatte?
Auch sie selbst hätte nur Nachteile. Schieren würde sie verstoßen und das Geschäft behalten. Alles, was sie in den letzten Jahren geschaffen hatte, wäre umsonst gewesen. Eine neue Werkstatt konnte sie nicht eröffnen, noch
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