Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
Vom Netzwerk:
Recht. Die wunden Stellen waren verheilt, doch zwischen den Fingern war die Haut noch immer ein wenig rissig und rau. Auch die beiden winzigen Brandnarben am linken Handgelenk, die von einem glühenden Kessel stammten, würden für immer bleiben.
     
    Am Abend ließ sie den Junggesellen zu sich in die Meisterstube kommen. Vor ihr lag das Auftragsbuch. Sibylla hatte seit Stunden darin gelesen, doch die vielen Zahlen und Begriffe aus dem Rauch- und Pelzwarenbereich wollten ihr einfach nichts sagen, sooft sie auch darin las.
    «Könnt Ihr das Auftragsbuch lesen?», fragte sie Jochen Theiler.
    Er nickte.
    «Dann erklärt mir, welchen Wert die Werkstatt hat, ob genügend Aufträge da sind, wer die Kunden sind und was die einzelnen Zahlen in den verschiedenen Spalten zu bedeuten haben.»
    Sibylla erwartete, dass Jochen Theiler ihr widersprach oder zumindest voller Zweifel an den weiblichen Verstandeskräften fragte, warum sie das wissen wolle.
    Doch Jochen Theiler tat nichts dergleichen. Schweigend nahm er sich das Auftragsbuch vor und las Seite für Seite. Sibylla beobachtete ihn. Er machte sich gut hinter dem großen Kontortisch, seine Ernsthaftigkeit rührte sie. Schließlich blickte er auf.
    «Nun?», fragte sie und sah ihn gespannt an.
    «Meister Wöhler war ein umsichtiger Mann», erklärte Theiler. «Er verstand sich ausgezeichnet auf das Herstellen von Kleidung und Decken der einfachen Machart aus preiswerten Fellen. Die Gewinne, die er damit erzielte, waren nicht hoch, aber sie kamen stetig. Die Werkstatt hat keine Schulden bei Pelzhändlern und Gerbern. An Bargeld ist genügend da, um bei der nächsten Messe neue Partien Felle zu kaufen.»
    Theiler sah Sibylla fragend an: «Versteht Ihr?»
    Sibylla nickte. «Ein gut gehendes, ehrliches Geschäft also», sagte sie. «Eine Werkstatt aber auch, die sich nicht nach den neuesten Moden richtet und deshalb auch nicht wachsen wird. Ist es so?»
    «Ja», erwiderte Theiler. «Doch die Kürschnerei ernährt ihren Mann und ist vor Spekulationsverlusten sicher.»
    «Spekulationsverluste? Meint Ihr damit die Ausrichtung des Geschäftes auf die teuren Pelze Zobel und Hermelin?»
    Theiler nickte wieder und blickte sie ein bisschen überrascht an. «Ihr seid zwar erst seit wenigen Tagen wieder hier, doch habt Ihr schon viel gelernt.»
    «Und ich möchte noch mehr lernen», gab Sibylla zu. «Wärt Ihr bereit, mir beizubringen, was Ihr wisst?»
    «Wenn Ihr es wünscht, so lehre ich Euch gern, was ich kann», erwiderte der Junggeselle und lächelte Sibylla an.
    «Danke, Theiler.» Sibylla war ihm dankbar. Der Mann schien zu meinen, was er sagte. Auf einmal wusste sie, was sie zu tun hatte.
    Sie holte tief Luft, straffte noch einmal die Schultern. «Traut Ihr Euch auch zu, eine Werkstatt zu führen?»
    «Ich bin Junggeselle», erwiderte Theiler bescheiden. «Das Handwerk kann ich schon, auch die Buchführung ist mir nicht fremd. Doch warum fragt Ihr?»
    «Weil ich Euch bitten möchte, mich zu heiraten», erklärte Sibylla. Obwohl ihre Stimme fest und klar war, konnte sie ihre Unsicherheit doch nicht ganz verdecken.
    «Heiraten? Euch? Wie kommt Ihr darauf?» Theiler sah nicht nur überrascht, sondern geradezu verblüfft aus.
    «Sibylla», er fasste über den Tisch zaghaft nach ihrer Hand. «Sibylla, ich bin ein Krüppel mit einem Hinkefuß, bin nicht vermögend, habe es noch nicht einmal zum Altgesellen gebracht. Ihr könntet einen besseren Mann bekommen. Ihr seid jung und gesund, könnt wohl auch anpacken, und die Männer läuten nicht nur wegen der Werkstatt an der Tür. Eine Frau, wie Ihr es seid, kann jeden haben. Warum ich?»
    «Ich habe Vertrauen zu Euch», erwiderte Sibylla. «Und fühle, dass Ihr der Richtige seid.»
    Sibylla meinte, was sie sagte. Theiler war genau der Richtige für sie: Er musste mit seiner Behinderung leben, sie mit ihrer Herkunft. Und so, wie sie zeitlebens keine Ruhe und Sattheit finden würde, die sie ihre Herkunft vergessen lassen würden, so würde auch Theiler für immer ein Krüppel bleiben, stets bestrebt, die anderen durch Taten und Leistungen davon abzulenken. Das war es, was sie beide miteinander verband. Sie waren gleich, waren einander ähnlich. Nur mit ihm würde sie ihre Pläne verwirklichen können.
    «Eine Heirat ist eine zu ernste Sache, als dass man sie allein von Gefühlen abhängig machen sollte», erinnerte Theiler. Sibylla verzog ein wenig den Mund.
    «Das weiß ich, Theiler. Wollt Ihr mich nun heiraten, oder wollt Ihr nicht?»,

Weitere Kostenlose Bücher