Die Pelzhändlerin (1. Teil)
uns?»
Sibylla sah in die Runde. In allen Augen erblickte sie Verdruss. «Ich habe noch keine endgültige Entscheidung getroffen», sagte sie und sah, wie die Sorge in den Gesichtern größer wurde. «Aber niemand wird vor die Tür gesetzt. So, wie es mein Vater gehalten hat, wird es bleiben.»
Die Gesichter der anderen entspannten sich, die Magd lächelte: «Ihr habt Euch – gottlob – nicht verändert, Sibylla», sagte sie. «Seid noch immer die, die Ihr früher wart.»
Sibylla blickte die Magd aufmerksam an. «Erzählt mir von meiner Kindheit, Barbara. Ich glaube, in den Klosterjahren habe ich manches vergessen.»
Die Magd lachte. «Ein gehorsames Kind seid Ihr gewesen. Ein hübsches Kind auch, das mit jedermann gut Freund war. Bescheiden, heiter und gottesfürchtig. Habt noch niemals einer Fliege etwas zuleide tun können. Ein ganz gewöhnliches, wohlgeratenes Mädchen eben, das seinen Eltern viel Freude gemacht hat.»
Sibylla nickte, dann fragte sie weiter: «Gab es nichts, das mich von den anderen unterschied?»
Barbara überlegte. «Nein, ich wüsste nicht.»
Sie bleibt mir unsichtbar, dachte Sibylla. Wie soll ich ihren Platz einnehmen, wenn ich nicht weiß, wer sie war?
Barbara lachte plötzlich. «Eines fällt mir ein. Ihr wart noch klein, sechs, sieben Jahre vielleicht. Eines Tages fandet Ihr eine Krähe im Hof, die wohl aus dem Nest gefallen war. Ein Jungtier noch, das den Schnabel weit aufriss und mit seinem Gekrächze die anderen Tiere verrückt machte. Ihr wolltet sie zähmen, die Krähe, habt sie gefüttert und getränkt, habt ihr die Flügel geglättet und sie im Arm herumgetragen. Doch eines Tages hackte die Krähe nach Euch. Ihr ließet sie vor Schreck fallen, da erhob sie sich in die Lüfte und flog davon, den anderen Krähen hinterher. Vorher aber stahl der Vogel Euch noch die blitzende Spange aus Eurem Haar und trug sie im Schnabel davon. Zuerst standet Ihr wie erstarrt, aber dann fingt Ihr an zu schreien und zu weinen. Jeder dachte, Ihr weintet um Eure Vogelfreundin, doch nein, so war es nicht. Ihr weintet, weil die Krähe Euch die Spange geraubt hatte. Drecksviech, habt Ihr geschrien und dem Vogel mit Eurer kleinen Faust gedroht. Ich habe dich gefüttert, und du bestiehlst mich zum Dank.
Hast du geglaubt, der Vogel würde für immer bei dir bleiben?, hat die Mutter Euch gefragt.
Natürlich, habt Ihr geantwortet. Ich habe ihm doch das Leben gerettet.
Und Eure Mutter hat geantwortet. Du hast ihm nicht das Leben gerettet, du hast es ihm geschenkt. Ein Vogel ist frei, du kannst ihn nicht halten.»
Merkwürdig, dachte Sibylla und sah auf den Tisch vor sich. Sie hätte mir ihren Platz wohl nicht freiwillig überlassen. Wenn sie wüsste, dass ich nun an ihrer Stelle hier sitze, würde sie sich wieder fühlen, als hätte jemand sie bestohlen. Aber so ist es ja auch, nur dass ich diesmal die Krähe bin.
Was hätte Sibylla jetzt an meiner Stelle getan? Wen hätte sie geheiratet?
Später, als die Gesellen in der Werkstatt und Barbara auf dem Hof beschäftigt waren, ging Sibylla zu ihrer Mutter in die Waschküche.
«Wie finde ich heraus, welcher Mann der Richtige ist? Wen hätte die echte Wöhlertochter geheiratet?», fragte Sibylla.
Martha wischte sich den Schweiß von der Stirn und ließ sich erschöpft auf einen Holzschemel sinken. «Ein guter Ehemann ist einer, der für dich und die Kinder sorgt, der dich nur schlägt, wenn es nötig ist, nicht allzu viel trinkt und dich ansonsten in Ehren hält, wenn du ihm gehorchst.»
«Das reicht mir nicht», antwortete Sibylla.
«Was willst du noch?», Marthas Stimme klang erstaunt, als hätte Sibylla die Sterne vom Himmel gefordert.
Sibylla zuckte mit den Achseln. Wie sollte sie ihrer Mutter erklären, was sie wollte, wenn sie es selbst nicht benennen, wohl aber fühlen konnte? Seit sie denken konnte, wusste sie, dass das Leben als Wäscherin nicht ihres war. Wie oft hatte sie in den Haushalten der Herrschaft gedacht, dass sie eine bessere Hausherrin und Meisterin abgeben würde als jene, die an diese Stelle gesetzt worden waren. Doch so etwas dachte man nur im Geheimen. Aussprechen durfte man es nicht.
Martha sah ihre Tochter an. Sie hat sich schon verändert, dachte sie und sagte leise: «Hast schon angefangen, dich als Herrin aufzuspielen, dabei klebt der Geruch des Feldsiechenhauses noch an deinen Kleidern, und deine Hände zeigen noch die letzten Spuren der Seifenlauge.»
Betroffen blickte Sibylla auf ihre Hände. Die Mutter hatte
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