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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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dass die Zärtlichkeit einzig ihr galt, dass Jochens ganze Liebe darin lag, ja, mehr noch. In seinen Liebkosungen spürte sie sein ganzes Wesen, das ihr zugetan war, bereit, ihr zu vertrauen und das Leben mit allem, was dazugehörte, mit ihr zu teilen. Und sie fühlte auch Jochens Schmerz, dessen Ursache sie nicht kannte, der sie jedoch im Innersten berührte, sodass ihr die Tränen kamen. Vorsichtig streckte sie ihre Hand nach ihm aus, ließ ihre Finger behutsam über seine Haut streichen, hörte nicht auf, als sie sein Zurückweichen spürte, streichelte einfach weiter, bis Jochen sich entspannte und seine Muskeln unter ihren Händen ganz weich wurden. Sie vergaß alles um sich sie herum, nur sie beide zählten, sie fühlte sich ihrem Mann so nah wie noch nie jemandem zuvor. Sie genoss seine Hände, die ihr alles gaben, was sie brauchte – und doch weder die Haut der Wäscherin noch die der Wöhlertochter berührten. Ein Gefühl von Dankbarkeit stieg in ihr auf. So groß und warm, dass sie sich aufrichtete, seinen entstellten Fuß in beide Hände nahm, ihn mit der eigenen Haut wärmte, vorsichtig darüber strich, immer und immer wieder. Sie spürte das Beben von Jochens Körper bis hinunter in den Fuß, spürte die Erschütterung – und konnte alles das gut aushalten, weil sie geschützt war in einem Kleid aus Fell. Noch nie hatte sie solch eine Zärtlichkeit erfahren, noch nie sich selbst so sehr gespürt wie in diesem Augenblick. Jetzt war sie nicht Wäscherin, nicht falsche Kürschnerstochter. Jetzt war sie sie. Nicht Luisa, nicht Sibylla, sondern sie selbst. Die Frau im Fellkleid – das war sie. So wahr, so bei sich wie nie zuvor. Das bin ich, dachte sie wieder und voller Glück.
     
    Später, als die Ehe vollzogen war und Jochen längst schlief, stand Sibylla leise auf, schlüpfte noch einmal in ihr Hochzeitskleid und schlich hinunter in die Küche. Das Fellkleid hatte sie abgelegt. Es gehörte in das Schlafzimmer. In den einzigen Raum, der nur Jochen und ihr gehörte, zu dem sonst niemand Zutritt hatte. Dort sollte es bleiben. In der Hand trug sie das blaugrüne Kleid mit dem roten Besatz, das sie getragen hatte, als sie zum ersten Mal die Schwelle des Wöhlerhauses übertreten hatte. Eigentlich wäre sie lieber im Bett geblieben, hätte sich lieber in ihr Fellkleid geschmiegt, Jochens Atem gelauscht und über sein seltsames Geschenk, das so wunderbar zu ihr passte, nachgedacht. Doch eine Aufgabe war noch zu erledigen, die keinen Aufschub duldete.
    Sie stand barfuß vor dem Herdfeuer, das noch glomm, und strich zart über das alte Kleid, schmiegte ihre Wange in den billigen Stoff, hoffte und fürchtete zugleich, darin ihren Geruch, den Geruch der Wäscherin Luisa zu finden. Doch das Kleid roch nach Lavendel, wie alle Kleidungsstücke hier im Haus. Kein Duft nach Seife und Waschlauge, keine Ausdünstungen der Feldsiechen, nicht der Geruch der Besenbinderkate hing im Kleid, sondern einzig Lavendel und vielleicht ein Hauch von Pelz- und Rauchwaren.
    Sibylla atmete ganz tief ein, dann warf sie das Kleid mit einer energischen Bewegung in die Glut, goß ein wenig Öl darüber. Die Flammen schoßen hoch, versengten zuerst die Ränder, dann fraßen sie sich wie gierige Tiere durch den Stoff. Übrig blieb ein Häuflein Asche, weniger als eine Hand voll. Sibylla stand davor, starrte in die Flammen und in den Rauch und genoß das Gefühl der Freiheit. Wie eine warme Welle durchströmte sie dieses Gefühl, spülte alle Bürden des alten Lebens, alle Demütigungen und Hindernisse einfach weg.
    Langsam breitete sie die Arme aus und begann sich im Kreis zu drehen. Das Hochzeitskleid schwang mit. Sibylla drehte sich schneller, flog dem Hochzeitskleid hinterher, ihrem neuen Leben hinterher, bis ihre Bewegungen mit den Schwingungen des Kleides verschmolzen. Kleid und Frau wurden eins, umschlangen einander wie ein seltsames Liebespaar und drehten sich, bis sich das Kleid schließlich um Sibyllas Körper wickelte und sie zum Stehen brachte.
    Keuchend stand sie da, sah erst jetzt den schwarzen Schatten, den das silberne Mondlicht auf die Küchenwand malte. Langsam, ganz langsam hob Sibylla ihre Arme, als folge sie einem inneren Zwang, und der Schatten tat es ihr gleich. Wie ein großer, schwarzer Vogel, wie eine Krähe lauerte er an der Wand, bewegte die Schwingen auf und ab, wirkte äußerst lebendig. Sibylla erstarrte.
    «Bist du das?», flüsterte sie, und vor ihren Augen erstand aus dem Schatten eine junge Frau, die ihr

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