Die Pelzhändlerin (1. Teil)
verblüffend ähnlich sah und die in dieser Nacht dem Totenreich entstiegen zu sein schien. Um sie zu mahnen und zu erinnern, dass sie sich angeeignet hatte, was ihr nicht gehörte. Angst kroch in Sibylla hoch, Entsetzen. Sie ist gekommen, um mich zu strafen für das, was ich ihr genommen habe, dachte sie und starrte auf den Schatten, darauf wartend, dass dieser sich von der Wand löste, sich auf sie stürzte und sie unter sich begrub.
Doch nichts geschah, nur eine Wolke schob sich vor den Mond, wischte den Schatten mit Leichtigkeit zur Seite.
Sibylla atmete auf, doch ihr Herz schlug zum Zerspringen. Unheimlich erschien ihr die Küche jetzt. Unheimlich das Haus, unheimlich war sie sich selbst ein wenig. Sie versuchte, sich zu beruhigen. «Es war nur ein Schatten», flüsterte sie. «Ein dummes Schattenspiel, weiter nichts.»
Allmählich wurde sie ruhiger, doch beinahe gleichzeitig begannen ihre Hände zu brennen und sich spröde und rau anzufühlen. Genau wie früher im Feldsiechenhaus.
***
Einige Monate nach der Hochzeit saßen Sibylla und Christine an einem Freitagabend im Wohnzimmer. Die Männer waren in der Zunftstube, Barbara auf Besuch bei einer Anverwandten, das Haus lag still.
Die beiden Frauen saßen im Schein mehrerer Kerzen am großen Tisch. Christine hatte einen Stickrahmen vor sich, und vor Sibylla lag ein weißes Blatt Papier, in der Hand hielt sie ein Stück Kohle.
«Was grübelst du?», fragte Christine und betrachtete abwechselnd und mit großer Zufriedenheit ihre Stickarbeit und ihren schwellenden Leib, in dem ein Kind wuchs. «Nimm dir lieber auch einen Rahmen und besticke eine Decke oder Kissenhülle. Wenn man so ein Gesicht zieht wie du, bekommt man früh Falten.»
Unwirsch schüttelte Sibylla den Kopf. «Ich habe keine Zeit, an Falten zu denken», erwiderte sie und kritzelte auf dem Blatt herum. «Ich möchte eine Zeichnung für den Zobelmantel machen. Was meinst du? Wie könnte eine Schaube für einen reichen Mann aussehen?»
Christine kicherte. «Sie muss seinem Selbstbild schmeicheln, was sonst?»
Sibylla ließ das Kohlestück sinken. «Das ist es!», sagte sie. «Du hast Recht. Die Eitelkeit muss gekitzelt werden, der Mantel nicht nur wärmen, sondern seinem Träger schmeicheln, ihn breiter und größer erscheinen lassen, als er in Wirklichkeit ist.»
Sie überlegte. «Wie sehen sich die reichen Männer?»
Christine zuckte mit den Achseln. «Wie du schon sagst! Groß und stattlich wollen sie sein, mit breiten Schultern, schmalen Hüften und mächtigem Geschlecht. Wahre Helden, die vor keiner Gefahr zurückschrecken.» Sie grinste und streichelte ihren Bauch.
Sibylla aber nickte und begann wie wild das Kohlestück über das Papier zu führen. Sie zeichnete eine Schaube, deren Kragen so gearbeitet war, dass er bis über die Schultern reichte und so den Eindruck von Stattlichkeit erweckte. Der obere Teil sollte bis zur Taille locker am Körper anliegen und dann in einer geraden, strengen Linie, welche eine optische Streckung bewirkte, auslaufen.
Als sie fertig war, betrachtete sie das Blatt mit schräg gelegtem Kopf, dann schob sie es zu Christine hinüber.
«Gut», stellte Christine fest. «Vollkommen. Ich kann die Patrizier direkt darin sehen. Sie werden diesen Mantel lieben und euch die Tür nach Aufträgen einrennen. Endlich werden sie jemanden gefunden haben, der sie so sieht wie sie sich selbst.»
«Der Mantel ist schon versprochen. Ebel wird ihn bekommen.»
«Ebel? Der Zunftmeister?»
Sibylla nickte. Christine betrachtete sie einen Moment lang und sagte dann verlegen: «In der Zunft heißt es, mit eurer Hochzeit wäre nicht alles nach Recht und Sitte verlaufen. Nur dem alten Ebel sollt ihr es zu verdanken haben, dass sie überhaupt stattfand. Die Leute fragen sich außerdem, woher dein Mann plötzlich die rohen Zobel hat. Zobel, die bereits Ebels Stempel tragen sollen. Und nun sagst du, der Mantel wäre versprochen. Hat die Zunftmeisterin Recht, wenn sie sagt, du hättest ihrem Alten den Kopf verdreht?»
Sibylla lächelte. «Er ist mein Pate, nichts weiter. Ein Freund meines Vaters war er. Ist es da nicht natürlich, dass er sich für mich und mein Glück verantwortlich fühlt?»
Christine zog die Augenbrauen ein Stück in die Höhe. «Das wäre ja das erste Mal, dass sich der Ebel für etwas einsetzt, was nicht ihm gehört.»
Sie senkte plötzlich die Stimme und legte Sibylla eine Hand auf den Arm. «Verstehen könnt ich schon, dass du einen Liebsten hast. Theiler
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