Die Pelzhändlerin (1. Teil)
vorgehaltener Hand kicherte sie: «Selbst wenn mir Pelz nicht steht, so ist es doch eine Lust, endlich ungestraft einen tragen zu können.»
Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder ganz der Gerichtsversammlung zu. Sibylla überlegte zu gehen, doch da wurde schon die alte Frau vor das Stehpult geschleift, und der Richter begann, ihre Sünden zu verlesen: «Gestohlen hat sie, diese Magd, hat veruntreut, was ihr anvertraut war. Von ihrem Herrn stahl sie Feuerholz und einen Sack Linsen, obendrein nahm sie ein Kleid der Herrin an sich.» Sibylla blieb wie angewurzelt stehen. Wie vertraut ihr das alles war.
«Er hat mir den Lohn nicht gezahlt. Sollte ich verhungern und erfrieren?», jammerte die Magd und brach in lautes Weinen aus.
«Wenn Ihr zurückzahlen könnt, was Ihr genommen habt, so werde ich Euch nur auspeitschen lassen. Habt Ihr aber alles verprasst, so lasse ich Euch die rechte Hand abschlagen», urteilte der Richter.
Die Magd schrie laut auf und heulte wie ein Hund bei Vollmond. «Habt Mitleid mit einer armen Frau. Wie soll ich mich ernähren, wenn Ihr mir die Hand abschlagt? In meinem ganzen Leben habe ich nichts verbrochen. Übt Barmherzigkeit.»
Die Bürgerin neben Sibylla beugte sich vor und rief laut: «Das hättest du dir früher überlegen müssen, du Diebin. Wer seinen Herrn bestiehlt, bestiehlt Gott, dass du’s nur weißt.»
Sibylla konnte ihre Abscheu nicht verbergen. Zu genau wusste sie, wie es der Magd da vorne ergangen war. Zu oft hatte sie selbst Ähnliches erlebt. Sie erinnerte sich nur zu gut daran, wie die Putzmacherin sie vor vielen Jahren mit dem Knüppel davongejagt hatte, als sie deren Kleid anprobiert hatte. Und sie dachte an ihren Schwur in der Kirche, daran, dass sie immer reich genug sein wollte, um gut zu sein, um sich zu entschulden. Jetzt war sie, wenn schon nicht reich, so doch vermögend genug, um gut zu sein. Danach musste sie handeln.
«Halt!», rief sie und eilte nach vorn zum Richtertisch. Sie streifte ihre Stola von der Schulter, hielt sie der Menge zum Betrachten hin und sagte laut: «Dieses Stück ist wohl mehr wert als ein bisschen Feuerholz, Linsen und ein einfaches Kleid. Ich bezahle damit die Schulden der armen Frau hier.»
Die Magd schaute sie verwundert an, dann griff sie nach Sibyllas Hand und küsste sie hingebungsvoll.
«Nicht, lasst das. Ihr seid mir nichts schuldig», sagte Sibylla leise und sah die Hände der Frau, die genauso zerschunden waren wie die ihrer Mutter.
Der Richter räusperte sich: «Mehr Glück als Verstand habt Ihr, dass die Bürgerin für Euch bezahlt hat, wenn ich auch den Grund für so viel Großzügigkeit nicht nachvollziehen kann. Eure Hand behaltet Ihr, aber fünfzehn Stockschläge sind Euch sicher.»
«Danke, Herr. Vielen Dank und Gottes Segen», stammelte die Magd, die nun vor Freude und Erleichterung weinte. Doch schon kamen die Henkersknechte, schleiften sie zum Halseisen und versetzten ihr mit einer Rute fünfzehn laut klatschende Schläge auf Gesäß und Oberschenkel.
Sibylla hatte genug gesehen. Ihr war übel. Sie drehte sich um und wollte den Platz verlassen, da sah sie plötzlich Ida in der Menge. Sie hatte alles gesehen und nickte Sibylla zu.
Kapitel 9
«Du hast deine Stola hergeschenkt. Einfach so!» Jochen war alles andere als begeistert. Dass Sibylla aber auch nie machte, was man von ihr erwartete! Sibylla schwieg. Was sollte sie ihm auch erklären? Dass sie in der Magd sich selbst, ihre Mutter gesehen hatte. Nein, das war unmöglich.
Sibyllas Großzügigkeit zahlte sich jedoch bald aus. Die Kunde von der Gerichtsverhandlung ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Jede Frankfurterin, die etwas auf sich hielt, begehrte auf einmal eine Stola mit Blüten aus Stoff und Pelzwerk.
Selbst die Zunft zeigte sich beeindruckt und bot Theiler an, 100 Partien Edelpelze zu günstigen Bedingungen einzukaufen. Für Sibylla war dieses Geschäft bereits abgeschlossen, als Jochen sie eines Abends in die Meisterstube rief.
Sorgenvoll saß er an dem großen Kontortisch und blätterte in dem Auftragsbuch.
«Wir haben kein Geld mehr, Sibylla», klagte er.
«Wieso das? Die Kunden rennen uns die Tür ein.»
«Das stimmt zwar, aber die Zahlungsmoral ist äußerst schlecht. Bestellt wird, als gäbe es kein Morgen, doch den Lohn bleiben sie uns schuldig. Ein Großteil der Stolen ist nicht bezahlt, trotzdem heimsen die Trägerinnen damit Lob ein. Leider sieht man es ja den Stücken nicht an, dass sie eigentlich noch uns gehören.» Er
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