Die Pelzhändlerin (1. Teil)
unentschlossen vor dem Spiegel, doch der Schneider, der unbeachtet zwischen den unzähligen Stoffballen im Wohnzimmer gestanden hatte, klatschte in die Hände und rief entzückt: «Das ist es, meine Gnädigste, dieses Stück ist wie für Euch gemacht.»
Sidonie zögerte noch immer. «So wenig Farben», maulte sie. «Ist das nicht zu eintönig?»
Laut zählte Sibylla ihr die Farben ihrer Kleidung auf, dann fügte sie hinzu: «Ihr seid eine Adlige, Sidonie. Euch steht es an, der Maßstab für Geschmack, Mode und Vornehmheit zu sein. Ihr müsst Euch hervortun vor den anderen Handwerksmeisterinnen. In ganz Frankfurt gibt es nur dieses eine Stück. Bald aber wird die Mode es auch hier erfordern. Dann könnt Ihr mit Recht behaupten, Ihr wäret die Erste gewesen, die eine solche Stola besessen hat.»
Dies war genau die Begründung, die Sidonie hören wollte. Ein strahlendes Lächeln erschien auf ihrem einfältigen Gesicht.
«Gut, Theilerin, ich werde die Stola tragen. Am nächsten Sonntag zum Gottesdienst wohl. Sie gefällt mir. Habt Dank dafür.»
Sie streifte die Stola von ihrer Schulter, legte sie unachtsam auf einen gepolsterten Schemel und wandte sich an den Schneider. «Nun, Meister, zeigt, was Ihr noch an Stoffen habt.»
Damit war Sibylla verabschiedet. Hoffentlich hält dieses Huhn ihr Versprechen, betete Sibylla und war erst beruhigt, als sie am Sonntag mit eigenen Augen ihre Stola an Sidonie sah und beobachtete, wie die Bürgersfrauen und Patrizierinnen begehrlich auf das seltene und einfallsreiche Stück schauten.
Von nun an zeigte Sibylla sich bei jedem Anlass mit der Stola. Sie trug sie über einem Umhang, wenn sie auf den Markt ging. Sie schlang sie sich bei stürmischem Wetter um Hals und Ohren und bei Anlässen, die in geheizten Häusern stattfanden, trug sie das Stück lässig um die Schulter oder – eine gewagte Kombination – um die Hüfte geschlungen.
Überall, wo man eine größere Gruppe von Menschen fand, stieß man auf Sibylla. Sogar einer öffentlichen Gerichtsverhandlung auf dem Römer wohnte sie bei, stand inmitten einer Gruppe von Frauen und kuschelte sich sehr auffällig in ihre Stola.
In den Halseisen, die am Eingang des Römers befestigt waren, standen ein abgerissener Bursche, die Kleidung mit Blut und Kot beschmiert, und eine Frau, der die Tränen in Strömen über die eingefallenen Wangen flossen. An einem Stehpult in der Mitte des Platzes thronte der Richter, daneben der Schultheiß und zwei Gerichtsdiener, grobe, starke Kerle mit Händen wie Druckerpressen.
Vor ihn wurde der ärmliche Mann jetzt geführt. Der Schultheiß verlas seine Untaten: «Mit gotteslästerlichen Reden hat er die braven Bürger aufgewiegelt und der Kirche und ihren Vertretern Habgier, Völlerei und Hurerei vorgeworfen. Bewahrer der sieben Todsünden hat er die Priester genannt und Verräter an den zehn Geboten. Zur Strafe und Abschreckung wird ihm dafür die Zunge herausgerissen.»
«Neeeeeeeein!», gellte der entsetzte Schrei des Verurteilten über den Römerberg. Doch schon wurde er von den Gerichtsdienern zum Halseisen gebracht, dann sperrte ihm der eine kraftvoll den Mund auf, und der andere riß ihm mit einer glühenden Zange die Zunge heraus und warf sie einem streunenden Hund zum Fraße vor. Die Menge stöhnte vor Entzücken laut auf.
Nur Sibylla, die an Koppers Magd Ida und gleichzeitig an Lucias Worte über Gott dachte, begann zu frieren und bereute, dass sie gekommen war.
Während der Verurteilte schrille, spitze Laute ausstieß und das Blut aus seinem Mund sprudelte, wandte sich eine Bürgersfrau an Sibylla.
«Ein schönes Stück tragt Ihr da. Wo habt Ihr es her?», fragte sie, als ob der schmerzvolle Kampf des Mannes im Halseisen sie nicht berührte. Sie streckte ihre Hand aus und befühlte interessiert die Stoffblumen.
Sibylla musste sich zwingen, ihren Blick von dem Gequälten zu nehmen. Ist das christliche Nächstenliebe, fragte sie sich, die den Schmerz eines Menschen über ein Stück Kleidung vergisst?
Nur mit Mühe konnte sie der Frau mit einem freundlichen Lächeln antworten.
«Eine Stola nach der italienischen Hofmode. Ich habe sie aus der Trierischen Gasse. Kürschnerei Theiler. Bald wird dieser Name in aller Munde sein. Sogar die junge Adlige, die kürzlich den Harms geheiratet hat, trägt ein Stück von Theiler«, sagte sie stolz.
Die Bürgerin nickte. «Ich habe davon gehört», sagte sie. «Womöglich werde ich mir auch eine solche Stola bestellen.» Und hinter
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