Die Pelzhändlerin (1. Teil)
passierte, wenn sie die Rate der Zunft nicht pünktlich zurückzahlen konnten: Die Büttel des Schultheiß würden kommen, um Jochen in den Schuldturm zu werfen. Vorher aber kämen die Gerichtsdiener, um jedes Ding von einigem Wert im Hause mitzunehmen. Am Schluss würden das Haus und die Werkstatt verkauft, und Sibylla wäre genau da, wo sie hergekommen war. Nein, schlimmer noch, damals im Feldsiechenhaus kannte sie nur den Alltag einer Wäscherin. Jetzt würde sie vieles, was ihr damals unbekannt war, schmerzhaft vermissen.
Eher gehe ich ins Wasser, dachte Sibylla voller Entschlossenheit, als jemals wieder als Wäscherin mein Brot zu verdienen. Es gab nur noch einen Ausweg.
«Komm mir nicht so!»
Ebel nahm Sibylla bei den Schultern und schüttelte sie.
«Ich lasse mich nicht erpressen.»
Sibylla schwieg und sah ihn an. In seinen Augen flackerte Furcht, die mit jeder Sekunde größer wurde. Schließlich hielt Ebel es nicht länger aus.
«Beweisen müsstest du, dass dein Kind durch meine Alte zu Tode gekommen ist.»
«Ihr wisst, dass ich das kann. Isaak Kopper kann es bestätigen. Er war dabei, damals auf der Fastenmesse. Und er war es auch, der geholfen hat, das Kind zur Welt zu bringen. Er hat gesehen, woran es gestorben ist. Genau wie die Hebamme.»
Ebel ging unruhig in seiner Meisterstube hin und her. Sibylla stand nahe bei der Tür und machte keine Bewegung. Er kratzte sich mit der Hand am Kinn, blieb schließlich vor Sibylla stehen.
«Man wird dich fragen, warum du den Vorfall erst jetzt anzeigst», warnte er sie. «Vermuten wird man, dass die Erinnerungen von dir und deinen Zeugen bereits getrübt sind.»
Sibylla beeindruckten seine Worte nicht. «Macht Euch keine Mühe, Pate. Ich weiß genau, was ich tue. Kurz danach habe ich von einem Notar ein Schreiben aufsetzen lassen, in dem steht, was auf der Fastenmesse vorgefallen ist. Zeugen haben die Richtigkeit meiner Worte bestätigt, und Kopper hat ein Gutachten beigelegt», sagte sie mit fester Stimme und dankte in Gedanken noch einmal Martha, die nach der Fastenmesse zu Kopper gegangen war und ihn um ein Gutachten gebeten hatte.
«Hinterhältiges Miststück», knurrte Ebel, und die Ader auf seiner Stirn schwoll dick und blau an.
«Spart Euch Euern Zorn», erwiderte Sibylla kühl. «Auch Eure Beschimpfungen treffen mich nicht. Lange genug habe ich ertragen, dass Ihr um mich herumgeschlichen seid wie die Katze um den heißen Brei.»
«Du willst mich ruinieren», zischte Ebel.
«Unsinn», widersprach Sibylla. «Stunden sollt Ihr uns die Raten auf ein Jahr. Mehr nicht. Niemand hat einen Schaden davon, denn wir werden die Schuld pünktlich mit Zins und Zinseszins begleichen. Also sprecht nicht von Ruin und Erpressung.»
«Aber mich machst du lächerlich. Schon wieder macht er, was die Theilerin will, wird man reden, und meine Alte wird mir die Hölle heiß machen.»
«An Euch wäre es gewesen, Eurer Alten vor langer Zeit schon den Kopf zurechtzusetzen. Euer Versäumnis rächt sich jetzt.»
Zornig stampfte Ebel durch die Meisterstube. Schließlich setzte er sich hinter seinen Kontortisch, holte Papier und Schreibfeder und beglaubigte die Stundung der fälligen Raten um ein Jahr.
Er reichte Sibylla das Schreiben, doch als sie zugreifen wollte, zog er es zurück.
«Den Wisch von damals will ich dafür haben. Den des Notars und auch das Gutachten Koppers», fauchte er.
Rasch griff Sibylla nach dem Schreiben, faltete es ordentlich zusammen und erwiderte: «Nein, Pate. Ihr bekommt nichts. Betragt Euch mir und Theiler gegenüber, wie es sich ziemt, und haltet Eure Alte an, das Gleiche zu tun. Dann werdet Ihr nie wieder etwas von dieser Geschichte hören. Macht Ihr aber Ärger oder wiegelt gar die Zunft gegen uns auf, so werde ich dafür sorgen, dass die Ebelin für den Kindesmord, den sie begangen hat, bestraft wird.»
Ebel stöhnte auf und ließ den Kopf in die Hände sinken.
«Ich bin für den Rest meines Lebens in deiner Hand. Aber eines Tages wirst du für deinen Hochmut bestraft werden», jaulte er, doch Sibylla schüttelte den Kopf.
«Es liegt alles bei Euch», antwortete sie ruhig und ging.
Mit der Stundung der Raten fiel Jochen zwar eine große Last von der Schulter, und sein Arbeitseifer ließ sich neu anstacheln, doch noch immer war die Geldkassette leer, die ausstehenden Zahlungen nicht eingegangen.
«Wir müssen etwas tun, um die Säumigen ohne Aufsehen zur Zahlung zu zwingen», sagte Sibylla. Doch ihr kam keine Idee, auf welche
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