Die Pelzhändlerin (1. Teil)
einige Gürtel gegen Spezereien, Decken aus Kanin gegen Augsburger Tuch, Spielzeugtierchen gegen Hirschhornknöpfe und Schnallen.
Es war schon später Nachmittag, als sie in die Gasse der Buchdrucker gelangte. Gemächlich ging sie von Stand zu Stand, betrachtete dort ein Buch in lateinischer Schrift, da ein paar Holzschnitte. Sie blieb stehen und lauschte den Philosophen und Gelehrten, die über die Frage nach der Gestalt der Erde in ein Streitgespräch ausgebrochen waren, kaufte einem Dominikanermönch ein Traktat ab, las in einem Flugblatt einen Text gegen den Ablasshandel und machte schließlich neben einem Stand halt, an dem ein junger Maler Skizzen mit Kohle auf Papier zeichnete.
Eben bildete er einen Buchhändler ab, der auf einem Schemel saß und versunken in einer Handschrift blätterte.
Sibylla bewunderte den Schwung der Falten, die er am Umhang zeichnete.
«Eure Arbeit gefällt mir», sprach sie den jungen Mann an.
«Vielen Dank auch, Herrin», entgegnete dieser und betrachtete sie von oben bis unten. «Habt Ihr nicht Lust, eine Zeichnung von Euch anfertigen zu lassen?»
Sibylla lachte. «Nein, nein, Eitelkeit ist eine Todsünde, wie Ihr wohl wisst.»
«Das ist wahr», erwiderte er mit einem verschmitzten Lächeln. «Aber ist es nicht auch die Pflicht, Schönheit festzuhalten und auf Papier zu bannen?»
«Schönheit festhalten und auf Papier bannen», sprach Sibylla nachdenklich seine Worte nach.
«Ihr habt Recht», antwortete sie ihm schließlich. «Bestimmte Dinge lohnen es, festgehalten zu werden. Wann habt Ihr Zeit?»
Der junge Mann ließ das Blatt sinken. «Wenn Ihr wollt, jetzt gleich. Ich habe mir mit dieser Zeichnung nur die Zeit vertrieben. Nehmt also Platz, dann können wir beginnen.»
«Nein», widersprach Sibylla. «Ihr sollt nicht mich zeichnen. Wir werden zusammen durch die Gassen gehen, und ich zeige Euch Kleider, deren Schnitt Ihr mir aufmalen sollt. Könnt Ihr das?»
Der junge Maler zuckte mit den Schultern. «Natürlich, aber zu welchem Zwecke?»
«Das lasst meine Sorge sein. Ihr werdet schließlich dafür bezahlt.»
Eine Woche war die Herbstmesse vorbei, die Frankfurter trafen sich zur Dippemess auf dem Römer, und Sibylla saß mit Jochen in der Meisterstube über den Büchern.
«Die Messe war ein großer Erfolg für uns», sagte Sibylla. «Wir haben sowohl gut eingekauft als auch gut verkauft, sind im Besitz neuer Ware, die wir in einigen Wochen sicher aus Kassel kommen lassen können, wenn bis dahin die Pest verschwunden sein wird.»
Jochen nickte. Er war mit Sibyllas Einkäufen zufrieden gewesen, doch ihm fehlte die Kraft, sich darüber zu freuen. Er war noch immer schwach und schaffte es nicht, den ganzen Tag über zu arbeiten. Schweißausbrüche überfielen ihn tags und nachts, er ermüdete noch immer leicht, und auch sein Appetit war bisher nicht vollständig zurückgekehrt.
«Aber am meisten freue ich mich über unser Musterbuch», sprach Sibylla weiter und strich liebevoll über den braunen Leineneinband eines Folianten, in dem sich viele Zeichnungen von Schnitten nach der neuesten Mode befanden. Der junge Maler hatte ein Gespür für Farben und Formen mitgebracht, dass dem von Sibylla in nichts nachstand. Gemeinsam hatten sie die Kleider der Messfremden betrachtet, und Lukas hatte eine Zeichnung nach der anderen gemacht.
Auch jetzt, nach der Messe, beschäftigte die Kürschnerei Theiler den jungen Maler weiter. Im Moment arbeitete er an einem Musterbuch für die Einrichung von Wohnräumen und zeichnete zwischendrin immer wieder neue Schnitte von Pelzen und Kleidern, die Sibylla eingefallen waren oder die Lucia in ihren regelmäßigen Briefen beschrieb.
«Dein Musterbuch, ja», entgegnete Jochen. «Deine Entwürfe sollen für die Ewigkeit erhalten bleiben. In einem Buch. Aber was ist mit uns?»
«Wie? Mit uns? Was meinst du damit?», fragte Sibylla.
Jochen holte hörbar Luft, dann sagte er: «Sibylla, ich denke, es ist an der Zeit für Kinder.»
«Warum?», fragte Sibylla.
«Weil Kinder unser Schicksal sind, darum. Weil sie bleiben, wenn wir lange schon gegangen sind.»
«Schicksal!» Sibylla lachte bitter auf. In ihr zog sich alles zusammen.
«Wählen wir das Schicksal, oder wählt es uns?», fragte sie, stand auf, ohne eine Antwort abzuwarten, und lief aus der Meisterstube, eilte die Treppen hinunter, verließ das Haus und rannte durch die Gassen, als wäre sie auf der Flucht.
Sie lief, immer schneller, blicklos für die Menschen, die sie traf,
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