Die Pelzhändlerin (1. Teil)
«Jetzt habe ich Ruhe vor dir.»
Sie drehte den Vogelresten den Rücken zu, hockte sich nieder und hob das zitternde Katzenkörperchen hoch. Sie spürte seinen Herzschlag und drückte das kleine Tier behutsam an ihre Brust, steichelte es, um es zu beruhigen. Dann lief sie langsam den Weg am Main entlang, hielt das Kätzchen wie einen Säugling und sprach beruhigende Kinderworte. Sie fühlte sich erleichtert. Jetzt hatte sie sich von Sibylla befreit, jetzt konnte sie Kinder mit Jochen haben.
Am Hafen, der unterhalb des Römers lag, herrschte rege Betriebsamkeit. Doch irgendetwas war anders als sonst. Sibylla blieb stehen, noch immer das Kätzchen streichelnd, und versuchte herauszufinden, was passiert war.
Schiffer und Hafenknechte liefen herum und warfen einander Worte zu. Nicht ein Fass wurde über eine hölzerne Rampe von den Frachtschiffen an Land gerollt. Das Lachen fehlte, die Rufe der Männer waren von Sorge und Entsetzen geprägt.
«Was ist passiert?», fragte sie einen Schiffsjungen, der mit schreckstarrem Gesicht an ihr vorbeirannte.
«Die Pest», schrie der Junge. «Die Pest ist in der Stadt.»
Kapitel 12
Wenige Tage später rumpelten die ersten Karren mit Toten durch die Gassen. Schwarz vermummte Gestalten mit bodenlangen Gewändern und großen Kapuzen zogen die Wagen. Vor ihren Gesichtern trugen sie Pestmasken, schnabelartige Gebilde, die mit Kräutern gefüllt waren, das Gesicht vollständig bedeckten und besonders Mund und Nase vor dem «Pesthauch» schützen sollten. Ein Priester ging voran und klingelte mit einem Glöckchen. Sobald es ertönte, leerten sich die Gassen. Die Frankfurter verfolgten hinter den Fenstern den Leichenzug, bekreuzigten sich und beteten, dass der schwarze Tod sie und ihre Familie verschonen möge.
Doch die Pest machte keinen Unterschied zwischen Jung und Alt, Arm und Reich, Gut oder Böse.
Erbarmungslos lauerte sie in den Winkeln der Gassen und schlug zu.
Immer mehr Haustüren waren von einem Kreuz bedeckt, dem Zeichen, das verkündete, dass auch in diesem Haus der schwarze Tod Einzug gehalten hatte.
Vor den Toren der Stadt wurden die Toten auf einen Haufen geworfen, mit Öl übergossen und verbrannt. Ein christliches Begräbnis blieb ihnen verwehrt. Ihre Asche wurde in der Erde vergraben.
Wundärzte, ebenfalls unter Pestmasken versteckt, eilten durch die Straßen und Gassen, doch helfen konnten sie nicht. Es gab kein Mittel, um die Kranken zu heilen, und keines, die Gesunden zu schützen.
«Jochen, ich bitte dich, höre auf mich und gehe für eine Weile aufs Land. Du bist noch immer geschwächt von der Krankheit, würdest die Pest niemals überstehen. Geh, Jochen, ich bitte dich. Und nimm Martha, Barbara und den Lehrjungen mit.»
«Das kommt nicht in Frage», erwiderte Jochen. «Wenn wir gehen, dann gehen wir zusammen.»
Sie waren alle in der Werkstatt. Jochen saß am Zurichtetisch, vor sich einige Felle, die auf ihren Zuschnitt warteten. Die Pelznäherin Katharina blickte den zwei vermummten Gestalten nach, die mit einem leeren Karren zurück in die Stadt gekommen waren.
Heinrich stand hinter dem Rumpelbock und hielt den Scherdegen in der Hand.
«Ist nicht das erste Mal, dass die Pest in der Stadt ist. Seit ich geboren wurde, habe ich sie vier Mal erlebt. Und überlebt!» Er nickte, um seine Aussage zu unterstreichen.
«Wer gottesfürchtig lebt, braucht die Krankheit nicht zu fürchten», sprach er weiter. «Es gibt keinen Grund, die Stadt zu verlassen. Vor dem göttlichen Strafgericht gibt es sowieso kein Entkommen.»
«Die Priester haben zu Gebeten und Prozessionen aufgerufen», erzählte Katharina. «Vielleicht sollten wir alle in die Kirche gehen, Kerzen anzünden und beten.» Sie sah sich unsicher um.
«Bleib hier», befahl Sibylla scharf. «Beten kannst du nach Feierabend. Aber ausrichten wirst du nichts damit.»
«Aber Gott hat uns die Pest zur Strafe geschickt. Nur mit Gebeten, Reue und Umkehr können wir ihn besänftigen und den Weltuntergang vielleicht abwenden», plapperte Katharina weiter die Worte der Priester nach.
«Halt den Mund», schalt Sibylla sie und dachte an Lucias Worte. «Über wen soll Gott herrschen, wenn er die Welt untergehen lässt, dumme Trine? Über die Bäume, Flüsse und Berge vielleicht? Gott braucht die Menschen, wie die Menschen Gott brauchen. Von einem Weltuntergang kann deshalb keine Rede sein.»
Das Mädchen senkte den Blick.
«Wir alle sind Sünder», flüsterte die Pelznäherin.
Für einen Augenblick legte
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