Die Pelzhändlerin (1. Teil)
noch nicht sterben müssen.»
Sibylla überlegte eine kleine Weile, dann schüttelte sie den Kopf. «Jochen, wenn du bleibst, weil ich bleibe, dann machst du mich dafür verantwortlich.»
Sie sah ihn eindringlich an.
«Ich kann diese Verantwortung nicht übernehmen. Deshalb bitte ich dich, mit den anderen wegzugehen. Wenn du aber bleiben willst, dann nur wegen dir, nicht aber wegen mir.»
«Was soll das, Sibylla. Ich bleibe, weil ich es möchte. Reicht dir das?»
Sibylla nickte. Wenn Jochen es unbedingt so wollte. Und doch wäre es ihr lieber, er würde fortgehen. Wenn ihm jetzt etwas passierte, würde sie sich wieder schuldig fühlen.
Von früh bis spät arbeiteten Sibylla, Jochen, Heinrich und die beiden Gesellen von Meister Ebel. In der Werkstatt war kein freies Plätzchen mehr, Felle lagen, standen, hingen überall herum.
Sibylla hatte die Holzläden vor die Fenster gehängt, damit sie nicht ständig die Karren mit den Leichen sahen, nicht ständig den Geruch nach Feuer rochen, wenn wieder ein Haus in der Straße niedergebrannt wurde, weil die Pest darin hauste.
Talglichter brannten Tag und Nacht, und die Arbeitenden hatten alsbald Mühe, eines vom anderen zu unterscheiden.
Barbara brachte immer wieder Kräuter, die sie in einem Kohlebecken verbrannte und von denen alle glaubten, dass sie die Pest abhielten.
«Wie lange geht das noch?», jammerte sie. «Ich kann die ewige Dunkelheit nicht mehr ertragen.»
«Geduld, Barbara. Ein paar Wochen noch, dann ist alles vorbei», tröstete Jochen.
«Ich weiß nicht, ob ich es so lange noch aushalte», klagte sie. «Die Vorräte werden weniger, das Salz ist beinahe alle, und ich möchte so gern einmal wieder auf den Markt gehen. Wie lange ist es her, dass ich das letzte Mal einen Fuß vor die Tür gesetzt habe?»
«Hör auf zu lamentieren, Barbara. Wir alle möchten wieder die Sonne sehen, wir alle haben Appetit auf frisches Brot und junges Gemüse. Aber solange die Pest noch in der Stadt herrscht, bleiben unsere Fenster und Türen verschlossen», entgegnete Sibylla. «Du hättest mit nach Kassel gehen können. Es war deine ureigenste Entscheidung, hier zu bleiben.»
Barbara reckte sich und streckte die Brust vor. «Noch nie im Leben habe ich Frankfurt verlassen», verkündete sie stolz. «Und lieber sterbe ich und werde in Frankfurter Erde begraben, als irgendwo im Wald zu vermodern, wenn mich die Wegelagerer finden.»
Sibylla lächelte und die anderen ebenfalls. Jeder wusste, dass Barbara mehr Angst vor Wegelagerern und fremden Gegenden hatte als vor dem Tod. Nichts hatte sie dazu bewegen können, das Theilerhaus zu verlassen. Hier waren ihre Wurzeln, und Barbara würde eingehen, wenn sie auch nur für wenige Tage woanders leben musste.
Seufzend drehte Barbara sich um und ging zurück in die Küche. «Ich werde einen Aufguss aus Kamille machen», erklärte sie beim Gehen. «Ihr habt schon alle rote Augen wie die Feldhasen.»
Als hätten sie nur auf diesen Satz gewartet, begannen die Arbeitenden, sich die Augen zu reiben. Sie hatten zu viel und zu lange gearbeitet, zu viel Rauch der Talglichter und Kräuterbecken waberte durch den Raum. Außerdem waren sie erschöpft. Doch noch immer stapelten sich die Aufträge, noch war kein Ende der Arbeit in Sicht.
Sibylla erschrak, als draußen der Klopfer betätigt wurde. Auch die anderen erstarrten. Seit Wochen war niemand mehr an der Tür gewesen. Wer jetzt kam, brachte schlechte Nachrichten.
Barbara stürzte herein und sah sich angstvoll um.
«Es wird der Tod sein, der Einlass begehrt», murmelte sie und bekreuzigte sich.
«Unfug», widersprach Sibylla, doch ihr Herz schlug so laut, dass sie meinte, jeder in der Werkstatt könne es hören. «Der Tod klopft nicht. Er schlüpft durch die Ritzen und Löcher, vielleicht sogar durch den Kamin ins Haus.»
Es klopfte wieder. Sibylla stand entschlossen auf. Sie durfte keine Angst zeigen.
«Ich gehe», sagte sie, schloss die Werkstatttür fest hinter sich und öffnete die Haustür.
Als sie die Gestalt erblickte, erschrak sie. Barbara hat Recht, es ist der Tod, der hier steht, dachte sie und hielt sich am Türrahmen fest.
«Guten Abend, Sibylla», sagte die Gestalt im bodenlangen, schwarzen Umhang mit der riesigen Kapuze und der schnabelartigen Pestmaske vor dem Gesicht.
Sibylla atmete auf und presste sich eine Hand aufs Herz.
Es war nicht die Stimme des Todes, die zu ihr gesprochen hatte, sondern die Isaak Koppers.
«Ich bin gekommen, um euch in den Spessart
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