Die Pelzhändlerin (1. Teil)
zu schicken. Packt alles, was ihr braucht. In einer Stunde wird euch ein Wagen abholen.»
«Isaak, vielen Dank. Doch wir bleiben hier, haben die Bediensteten schon vor Wochen aufs Land geschickt.»
Kopper zog einen der langen Handschuhe aus und griff nach Sibyllas Hand. «Sei nicht stur, Sibylla. Die Pest wütet nicht, sie tobt. Jeder Tag bringt mehr Tote als der vorherige. Ein Ende ist nicht abzusehen. Von den 10 000 Bewohnern Frankfurts sind über 3000 geflohen. Die Hälfte von denen, die blieben, ist bereits tot. Was meinst du, wie lange ihr hier noch durchhaltet?»
«Isaak, wir können nicht weg. Die Werkstatt braucht uns. Nie zuvor hatten wir mehr Aufträge.»
Kopper zog sich die Pestmaske vom Kopf, sodass Sibylla sein Gesicht sehen konnte.
Wie erschöpft er aussieht. Am liebsten hätte sie ihn gestreichelt. Sein Gesicht schien nur noch aus dunklen Augenringen zu bestehen. Seine Haut war grau, die Lippen vor Erschöpfung nur noch zwei schmale Striche.
«Isaak, wirst du Frankfurt verlassen?»
Der Arzt schüttelte den Kopf. «Es ist meine Pflicht, mich um die zu kümmern, die Not leiden. Bitte, Sibylla, nimm deinen Mann und alle, die noch in deinem Haus sind, und geht fort von hier. Ida wird mit einem Wagen kommen und euch holen.»
«Nein, Isaak. Ich bleibe», erwiderte Sibylla fest.
«Wenn du krank wirst, kann ich dich nicht heilen», beschwor Kopper sie und ergriff erneut ihre Hand.
Sibylla lächelte ihn traurig an. «Mich kann ohnehin niemand heilen. Bei den wirklich wichtigen Dingen im Leben ist man stets allein.»
Behutsam strich Isaak Kopper über Sibyllas Wange. «Du bist nicht allein, Sibylla. Ich bin für dich da. Das weißt du.»
Sibylla schloss die Augen und gab sich für einen Augenblick der Liebkosung hin. Sie schmiegte ihre Wange fest in seine warme Hand.
«Ich werde beten. Beten für uns alle», flüsterte sie.
Ein fragender Ruf kam aus dem Haus. Martha, die wie Barbara ebenfalls nicht zu bewegen gewesen war, die Stadt zu verlassen, wollte wissen, wer an der Tür war.
Sibylla öffnete die Augen, sah Kopper an. Die Traurigkeit legte sich schwer auf ihre Seele.
«Ich muss rein, Isaak. Gott schütze dich.»
«Gott schütze auch dich, Sibylla.»
Noch einmal blickten sie sich an.
«Liebe, Glaube und Hoffnung sind am Ende das, was bleibt», sagte Isaak. «So jedenfalls sagt der Apostel Paulus. Und er hat die Liebe vor den Glauben gestellt, ihr den höchsten Wert zuerkannt.»
«Was willst du damit sagen, Isaak?», fragte Sibylla und kannte doch die Antwort schon.
Als Isaak sich umwandte und langsam die Gasse hinunterschritt, sah Sibylla ihm nach. Habe ich mein Leben mit unwichtigen Dingen vergeudet?, dachte sie. Aber wäre ich als Wäscherin Luisa überhaupt von Isaak bemerkt worden? Würde mich Jochen noch lieben, wenn er wüsste, wer ich wirklich bin? Es ist die Meisterin, die geliebt und beachtet wird, nicht die Frau. Nicht der Mensch, der ich bin. So dachte Sibylla, während sie Kopper nachsah, und wusste, dass es nur die halbe Wahrheit war.
Zwei Tage später erschien Martha nicht zum Frühstück in der Küche.
«Sieh nach, warum sie nicht kommt», bat Sibylla die Magd. Zögernd, aber ohne zu widersprechen, verließ Barbara die Küche.
Als sie wiederkam, war sie bleich wie ein Gespenst.
«Fieber hat sie», flüsterte sie. «Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen. Ganz benommen fühlt sie sich, hat sie gesagt.»
Barbaras Stimme zitterte so stark, dass man sie kaum verstehen konnte. «Ich habe einige Beulen an ihrem Körper gesehen. Die Pest …, die Pest ist im Haus!»
Die Gesellen am Tisch betrachteten sofort ihre Arme, ob daran auch schon die ersten Spuren der Krankheit zu erkennen waren. Dann falteten sie die Hände und murmelten Gebete.
«Hört auf damit», herrschte Sibylla die Männer an. «Beten hilft jetzt nichts.»
Sie wandte sich an Barbara. «Nimm Bettlaken und schneide daraus Tücher, mit denen man Mund und Nase bedecken kann. Alle im Haus tragen ab sofort diese Tücher.»
Sie fuhr herum und wartete darauf, dass Jochen ihr zustimmte. Doch Jochen saß am Tisch, ein feiner Schweißfilm bedeckte seine Stirn, er antwortete nicht.
«Du auch?», fragte Sibylla. Jochen nickte, dann ließ er den Kopf einfach auf seine Arme sinken und schloss die Augen.
Nur einen winzigen Moment lang geriet Sibylla außer Fassung. Dann streifte sie die Ärmel ihres Kleides nach oben und fuhr Barbara an, die dastand, als wäre sie angewurzelt: «Geh und hole die Laken. Oder willst
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