Die Pelzhändlerin (1. Teil)
du etwa, dass wir alle krepieren?»
Von dieser Minute an stellte Sibylla das Denken und Fühlen ein. Sie bewegte sich wie eine Puppe, die an Schnüren hing und von einer Macht, die über ihr stand, dirigiert wurde. Selbst ihre Bewegungen wurden eckig. Zuerst lief sie zur Haustür und malte mit Kreide ein Kreuzzeichen auf das blau gestrichene Holz, zum Zeichen, dass die Pest nun auch in diesem Hause war.
Danach verteilte sie die Stofffetzen, wickelte sich selbst ein Stück Laken um Mund und Nase.
Sie begleitete Jochen ins Bett, richtete im Raum daneben ein Lager für Martha her.
Heinrich und die Gesellen verbannte sie in die Werkstatt, brachte Kohlebecken herbei und durchräucherte das ganze Haus mit Kräutern.
Von der Werkstatt lief sie zurück in die Küche, füllte den Kräutersud, den Barbara inzwischen jammernd und wehklagend gebraut hatte, in Kannen und eilte zurück an die Krankenlager von Jochen und Martha.
Sie wechselte nasse Tücher und flößte den Kranken den Sud ein. Sie hörte nicht, dass die Gesellen aus Ebels Werkstatt aufgestört das Haus verließen und nicht zurückkehrten, hörte nicht Barbaras laute Gebete und auch nicht Heinrichs barsche Worte.
Sibylla wusch Jochen das schweißnasse Gesicht ab, gab Martha zu trinken und dachte und fühlte nichts dabei. Der Morgen ging in den Mittag über, der Mittag in den Nachmittag, der Nachmittag in den Abend. Sibylla aß nichts, trank nichts, bemerkte nicht den Wechsel der Tageszeiten.
Marthas und Jochens Zustand verschlechterte sich von Minute zu Minute. Am Nachmittag war Martha bereits nicht mehr ansprechbar. Große eitrige Beulen bedeckten ihren Körper. Bei jeder Bewegung wimmerte sie, phantasierte ansonsten wirres Zeug vor sich hin, rief sogar nach ihrer Mutter und der Heiligen Jungfrau. Stumm saß Sibylla dabei, umwickelte Marthas Waden mit nasskalten Tüchern, um das Fieber zu senken, wusste, dass es vergebliche Mühe war, und machte doch unbeirrt weiter.
Jochen verlor erst am Abend das Bewusstsein. Sein Körper krampfte sich zusammen, das Fieber ließ auch seine Sinne schwinden, und die Beulen an seinem Körper füllten sich so rasch mit Eiter, dass man dabei zusehen konnte.
Isaak Kopper kam. Sibylla fragte nicht, woher er wusste, was im Hause geschehen war. Sie fragte überhaupt nichts, sagte nichts, weinte nicht, klagte und betete nicht. Sie eilte von Raum zu Raum, von Jochen zu Martha und von Martha zu Jochen, hantierte mit nassen Tüchern, brannte Kräuter ab, benetzte trockene Lippen mit Wasser.
Kopper hielt sie am Arm fest. «Du kannst nichts für die beiden tun, Sibylla. Lass sie in Frieden sterben. Bete für ihre Seelen.»
Sibylla starrte Kopper mit entzündeten Augen an, erwiderte nichts, machte sich los und rannte erneut zwischen Martha und Jochen hin und her.
«Luisa!»
«Luuuuuuuuiisaaaaaaaaaa!», gellte ein Schrei durchs Haus. Ein Schrei, der durch Sibyllas Erstarrung drang, den Schutzpanzer aus Betriebsamkeit durchbrach.
Sie lief zu Martha, setzte sich neben sie, nahm ihre von schwarzen Flecken übersäte Hand. Aus Marthas Mund quoll schwarzes Blut.
«Ich bin da», flüsterte sie. «Ich bin da.» Behutsam streichelte sie ihre Mutter im Fieberwahn und strich ihr die Haarsträhnen aus dem Gesicht.
Kopper hörte, was sie sagte. Leise stand er auf und verließ den Raum, um nach Jochen zu sehen. Er wußte, dass Marthas letzte Stunde geschlagen hatte. Bald würde sie von ihrer Qual erlöst sein.
Sibylla hielt ihre Hand, starrte auf das entstellte Gesicht der Frau, die ihre Mutter war – und fühlte nichts. Gar nichts. Alles in ihr war wie abgestorben. Mechanisch murmelte sie einige Gebete, wieder und immer wieder, ohne Innehalten. Sie wiegte ihren Körper dabei hin und her, hielt Marthas Hand, hörte sie röchelnd nach Luft ringen. Einmal noch öffnete Martha die Augen, sah Sibylla an, flüsterte: «Luisa!»
Dann schloss sie die Augen, ihre Brust hob und senkte sich ein letztes Mal, ihr Herz hörte auf zu schlagen. Martha war tot.
Sibylla faltete ihr die Hände über der Brust, deckte sie mit einem Tuch zu und beugte sich über die Tote, um noch ein letztes Mal ihre Stirn zu küssen. Dann löschte sie die Lichter und verließ wort- und tränenlos den Raum.
Sie ging in die Küche, trank einen Becher Wasser in hastigen Zügen und lief in das Schlafzimmer zu Jochen.
Der Morgen dämmert langsam herauf und beleuchtete zaghaft das Elend der Stadt. Doch Sibylla merkte nichts davon. Sie saß neben Jochens Bett, hielt seine Hand
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