Die Pelzhändlerin (1. Teil)
und murmelte leise Gebete.
«Sibylla, leg dich hin. Ein paar Minuten nur», bat Kopper und legte eine Hand auf ihre Schultern. «Du bist vollkommen erschöpft.»
Sibylla antwortete nicht, schüttelte stumm den Kopf und fuhr fort, Gebete aufzusagen, die sie seit ihrer Kindheit kannte und die noch niemals in ihrem Leben irgendetwas bewirkt hatten.
Auf der Straße rumpelte ein Karren vorbei. Die Leichenträger sahen das Kreuzzeichen, klopften an die Tür. Barbara öffnete.
«Habt Ihr Leichen?» fragten die vermummten Gestalten.
Barbara nickte und schickte die Männer, Martha zu holen.
Sie kamen zu zweit die Treppe hoch. Sibylla stand dabei, sah, wie einer der Männer ihre Mutter hochhob und sie sich wie einen Sack Lumpen über die Schulter warf. Der andere fragte: «Habt Ihr noch mehr?»
Sibylla schüttelte stumm den Kopf. Der Erste lief – mit der toten Martha über der Schulter – an ihr vorbei und die Treppe hinunter. Im Vorübergehen wurde Sibylla von etwas gestreift und zuckte zusammen. Sie spürte eine Hand in ihrem Haar, eine Hand, die sich an ihr festkrallte, nicht loslassen konnte, sie mitnehmen wollte in den Tod.
«Nein!», schrie Sibylla, griff nach Marthas Hand, die sich in einem letzten Muskelzucken eine ihrer Haarsträhen gegriffen hatte.
Der Mann mit Martha über der Schulter hielt an. Der andere nahm die Hand der Toten, riss sie mit einem kräftigen Ruck aus Sibyllas Haar, dann lief der Erste wortlos weiter die Treppe hinunter.
Sibylla zitterte. Ihre Zähne schlugen aufeinander, als hätte sie Schüttelfrost. Sie stand da, hielt beide Hände auf ihren Kopf gepresst, genau da, wo Martha sie das letzte Mal berührt hatte.
Der Vermummte schaute sie an.
«Keine weiteren Kranken im Haus?»
Diesmal nickte sie und wies mit der Hand zum Schlafzimmer, in dem Kopper bei Jochen wachte.
Von draußen war ein dumpfer Ton zu hören. Ein Geräusch wie von einem schweren Gegenstand, den man auf einen Wagen warf. Sibylla schloss für einen Moment die Augen. Das Zittern wurde heftiger.
Der Vermummte legte ihr kurz eine Hand auf die Schulter und ging in das Schlafzimmer, warf einen prüfenden Blick auf den Kranken, sah die schwarze Verfärbung der Haut.
«Der ist auch gleich so weit», stellte er mitleidlos fest. «Am besten, wir nehmen ihn mit. Bis wir auf dem Gottesacker vor der Stadt angekommen sind, ist der bereits im Himmel.»
Er schickte sich an, Jochen hochzuheben, doch Sibylla fiel ihm in den Arm.
«Verschwindet aus meinem Haus. Verschwindet und lasst Euch hier niemals mehr blicken.»
Der Vermummte schaute sie durch seine Maske hindurch an.
«Nicht aufregen, kleine Meisterin», sagte er beruhigend. «Ganz ruhig. Es wird alles wieder gut.»
Dann sah er zu Kopper, erkannte ihn. «Passt auf das Frauchen auf, Doktor», sagte er. «Sie wäre nicht die Erste oder die Einzige, die über all dem Elend verrückt wird.»
In diesem Augenblick drang ein qualvolles Stöhnen aus Jochens Bett. Auch zwischen seinen Lippen quoll nun schwarzes Blut hervor.
Sibylla trat an das Fußende des Bettes. Sie streckte ihre Hand nach Jochen aus, als wollte sie ihn dem Tod entreißen.
Jochens Kinn sackte auf seine Brust.
Der Vermummte räusperte sich, sprach laut ein Gebet, von dem sie nur die letzten Worte: «… und gib seiner Seele Frieden» wahrnahm.
Dann trat der Leichenträger an das Bett und machte sich daran, Jochen wie ein Bündel über die Schulter zu werfen.
«Halt!»
Sibyllas Stimme klang in der Stille des Hauses wie ein Schrei. «Wartet einen Augenblick.»
Der Mann legte den Toten zurück auf das Bett. Sibylla war unterdessen zu einer Truhe gegangen und hatte das Fellkleid daraus hervorgeholt.
«Helft mir, ihm das Kleid überzustreifen», befahl sie dem Leichenträger.
Der Mann schüttelte den Kopf und sagte behutsam: «Frauchen, das ist ein Kleid. Ihr könnt nicht wollen, dass Euer Mann in einem Fellkleid vor den Thron des Herrn tritt.»
Sibyllas Blick ging durch den Vermummten hindurch. «Er soll nicht frieren», sagte sie. In ihrer Stimme war so viel Schmerz, dass der Mann schließlich gehorchte und den ausgezehrten Körper in das Fellkleid hüllte. Sie ist verrückt, dachte er. Schade um die kleine Frau.
Als er fertig war, fragte er: «Wollt Ihr Euch verabschieden?»
Doch Sibylla schüttelte nur den Kopf. «Ihr könnt ihn mitnehmen», sagte sie leise und trat einen Schritt zurück, als der Vermummte mit seiner Last an ihr vorbeiging.
Als sie Stunden später aus einem todesähnlichen
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