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Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Die Pelzhändlerin (1. Teil)

Titel: Die Pelzhändlerin (1. Teil) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Schlaf erwachte, wusste sie sofort, was geschehen war: Die Pest war im Haus, hatte Martha und Jochen geholt.
    Sie wartete darauf, dass der Schmerz einsetzte, doch nichts geschah. Sibylla lag einfach im Bett, starrte an die Decke, noch immer unfähig zu fühlen. Das Einzige, was sie spürte, war Kälte. Eine Kälte, die in ihren Knochen, in ihrem Körper saß und sie glauben ließ, sie könne bei der kleinsten Bewegung zerbrechen.
    Die Tür öffnete sich. Sibylla wandte langsam den Kopf.
    Isaak Kopper kam herein. Er sah übernächtigt und erschöpft aus.
    «Wie geht es dir?», fragte er, fasste unter ihren Kopf und führte ihr einen Becher Wein an die Lippen.
    Sibylla trank in gierigen, hastigen Schlucken und merkte erst jetzt, wie durstig sie gewesen war. Doch auch der Wein konnte sie nicht wärmen.
    «Mir ist kalt», sagte sie. «So furchtbar kalt.»
    Kopper legte seine Hand auf ihre Stirn, strich über ihre Wangen. «Du bist gleichmäßig warm, Sibylla. Die Kälte, die du fühlst, kommt aus deinem Inneren.»
    «Wärme mich», wimmerte Sibylla wie ein Kind. Und Kopper hüllte sie in eine weitere Decke, legte sich dann neben sie, nahm den zitternden Körper in seine Arme und wiegte sie sacht hin und her.
    Sie fühlte die Wärme seines Leibes durch die Decken hindurch.
    Und ganz langsam löste sich etwas in Sibylla. Sie spürte, wie die Starre aus ihrem Körper wich. Tränen stiegen in ihr auf, und Sibylla ließ sie einfach über ihr Gesicht laufen und im Kissen versickern.
    Ein Schluchzen schüttelte sie, dass sie glaubte, ihr Körper würde in Stücke gerissen, doch Isaak hielt sie ganz fest und streichelte ihre Schultern. Und wieder löste sich etwas in ihr. Es tat so weh, dass sie sich krümmte und die Beine an den Leib zog wie ein Säugling. Und Isaak hielt sie, dämmte mit seinem Leib die Erschütterungen ihres Körpers, schützte und wärmte sie, während aus Sibylla das Leid und der Schmerz ihres ganzen Lebens hervorbrachen. Nichts konnte diese gewaltige Kraft stoppen, nichts sie zurückdrängen in den Körper, in die Seele, in der sie jahrelang verschlossen waren. Alles drängte heraus. Jede Demütigung, jede Qual, Angst, Verlassenheit und unendliche Trauer flossen unhaltbar aus ihr heraus. Sie zitterte wie im Fieber, ihre Zähne klapperten aufeinander. Plötzlich warf sie sich herum, Isaak in die Arme, presste ihren Mund auf seinen, als wolle sie aus ihm den Atem schöpfen, den sie zum Weiterleben brauchte. Und sie weinte dabei wie ein Kind, schluchzte zuerst laut, dann immer leiser werdend, bis sie schließlich in seinen Armen einschlief, das tränennasse Gesicht noch immer an das seine gepresst.

Kapitel 13
    Die Pest war überstanden, doch sie hatte unzählige Opfer gefordert. Ganze Straßenzüge in der Neustadt waren jetzt unbewohnt, auch in der Altstadt stand jedes zweite Haus leer.
    Allmählich kamen die Geflohenen zurück und nahmen ihr Leben dort wieder auf, wo sie es vor Wochen unterbrochen hatten. Zumindest beinahe.
    Auch die Kürschnerzunft hatte die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Die Anzahl der Meister hatte sich halbiert. Zunftmeister Ebel war unter den Toten, doch war er nicht an der Pest gestorben, sondern am Schlagfluss, der ihn getroffen hatte, als er hörte, dass sein Haus und die Werkstatt plündernden Banden zum Opfer gefallen waren.
    In der Stadt ging alles drunter und drüber. Nicht nur die Häuser, auch Lagerhallen, Gewölbe und Keller, in denen die Kürschner ihre Waren gelagert hatten, waren geplündert worden. Es gab nun nicht nur bedeutend weniger Kürschner in der Stadt, sondern es war obendrein schwierig, auch nur eine kleine Partie Felle für einen neuen Umhang oder eine Kappe aufzutreiben.
    Herrenlos gewordene Gesellen durchstreiften die Handwerksgassen auf der Suche nach neuer Arbeit.
    Sie klopften auch bei Sibylla. Wenn es in der Stadt jemanden gab, der genügend Aufträge und – dank der beiden Wagenladungen von Santorin – ausreichend Vorräte hatte, dann die Theilerin.
    Vier Kürschnergesellen neben Heinrich, dazu zwei Lehrjungen, zwei Pelznäherinnen und einen Schneidergesellen, der sich einzig um das Innenfutter der Pelze kümmerte, beschäftigte Sibylla nun.
    Im Flur stapelten sich Tuchballen, im Wohnzimmer hingen fertige und halbfertige Pelze, sogar das Schlafzimmer war von Schachteln mit Knöpfen, Schnallen, Schließen und Bändern übersät.
    Sibylla war froh um die vielen Aufträge. Nicht des Geldes wegen, sondern weil sie sie vom Nachdenken abhielten. Ruhelos

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