Die Pelzhändlerin (1. Teil)
eilte sie durchs Haus, hetzte von der Kürschnerei in ihre eigene kleine Werkstatt, in der die Kunden Schlange standen, um sich noch prunkvoller und prächtiger einzurichten.
Wie immer, wenn der Tod eine breite Schneise des Grauens geschlagen hatte, kam danach die Lebensgier mit doppelter Stärke zurück. Wer überlebt hatte, wollte sich jetzt belohnen für die ausgestandenen Ängste und Sorgen. Nur das Beste vom Besten war gut genug: Perlen, Pelze und erlesene Kleider. Ein Fest folgte auf das andere. Jeder wollte das pralle Leben genießen. Und die Frankfurter feierten, wie sie es verstanden: mit Prunk und Pomp.
Auch diesmal hatte Sibylla die Zeichen der Zeit erkannt und ihre Entwürfe daran ausgerichtet. Sinnlichkeit hieß das Gebot der Stunde.
«Aber ist es nicht auch so?», fragte Sibylla ihre Freundin Christine Geith, deren Familie die Pest unversehrt überstanden hatte. «Folgt nicht auf jedes Ding dessen Gegenteil? Sonne auf Regen, Hass auf Liebe und Sinnlichkeit auf Tod?»
Christine betrachtete die fertigen Waren im Wohnzimmer. «Ich weiß es nicht», erwiderte sie und hielt sich ein Kleid an, das einen tiefen Ausschnitt hatte, der die Ansätze der Brust gut sehen ließ.
«Darf ich?», fragte sie mit begehrlichen Blicken. Sibylla nickte.
Christine schlüpfte in das Kleid, dessen Oberteil eng am Körper anlag und in der Taille von einem breiten Gürtel betont wurde. Sie drehte sich vor dem großen Spiegel, dann seufzte sie und zog das Kleid wieder aus.
«Wie gern hätte ich auch ein solches Stück», sagte sie.
«Ich nähe es dir», bot Sibylla an. «Wenn du willst, kann dir eine der Näherinnen die Maße nehmen.»
Christine lachte bitter. «Stücke aus der Werkstatt Theiler kann ich mir nicht leisten», klagte sie. «Seit der Pest ist ein Kleid oder Umhang aus deinem Haus unbezahlbar geworden. Jeder, der auf sich hält, besitzt ein Stück mit der eingestickten Sonne.»
Sie hängte das Kleid zurück und stülpte sich eine Haube aus langen dünnen Fellstücken über, die den Eindruck von langen, dichten Haaren, die bis zu den Hüften reichten, erweckten.
«Aber Geith müsste doch genügend Aufträge haben», überlegte Sibylla.
Christine nickte. «Ja, Aufträge hat er, doch unsere rohen Felle waren in der Gerberei. Sie sind gestohlen worden, direkt aus der Beize, und Meister Sachs kann sie uns nicht ersetzen.»
Sie senkte die Stimme und blickte die Freundin an: «Es geht uns nicht gut, Sibylla. Wir haben noch nicht einmal die Barschaft, um neue Ware zu kaufen. Solch ein Unglück überstehen nur die unbeschadet, die schon vorher viel hatten. Oder Glück, so wie du. In der Zunft wird sich einiges ändern. Die Rangfolge ist nicht mehr die alte. Jetzt gewinnen die, die vorausschauend waren. Wäre Theiler nicht tot, hätte man ihn bestimmt zum nächsten Zunftmeister gewählt.»
«Aber er ist tot», entgegnete Sibylla. «Und dein Mann, Christine, lebt.»
Die Freundin schwieg betroffen.
Merkwürdig, dachte Sibylla. Der Verlust des Ehemanns wiegt bei den anderen weniger schwer als der Verlust von Aufträgen und Ware. Beglückwünscht werde ich für die Voraussicht und beneidet ob der vielen Aufträge, doch niemand hat ein Wort des Bedauerns über Jochens Tod übrig. Im Gegenteil, sie summen herum wie die Fliegen, in der Hoffnung, wenigstens die Krumen, wenn nicht gar ein ganzes Stück vom großen Kuchen zu erhaschen.
Glück sollte ihr also die Pest gebracht haben? Als könne eine Wagenladung mit Pelzen den Verlust eines guten Ehemanns und Meisters und einer Mutter vergessen machen. Nein, wenn sie das vorher gewusst hätte, dann hätte sie sich anders entschieden. Doch sie wollte der Freundin gegenüber nicht zu hart sein.
«Ich schenke dir das Kleid, Christine», bot Sibylla an. «Nimm dir auch Stoff für deine Kinder und nähe ihnen die Sachen, die sie brauchen. Und sage deinem Mann, wir hätten Arbeit genug und könnten zwei zusätzliche Hände gut brauchen.»
Christine griff sofort nach dem Kleid und legte es, ohne Sibylla anzusehen, ordentlich zusammen.
«Und auch für dich gäbe es hier einiges zu tun. Du könntest mir in der Einrichterei zur Hand gehen.»
Christine blickte sie an und lachte verächtlich. «Das ist nicht dein Ernst, Sibylla. Du scherzt.»
«Wie kommst du darauf?»
Christine kam näher.
«Wie kannst du annehmen, dass Geith in deiner Werkstatt arbeiten würde? Er ist schließlich Meister und wird sich kaum von einem Altgesellen kommandieren lassen.»
«Was will er dann?»,
Weitere Kostenlose Bücher