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Die Perlenzüchterin

Die Perlenzüchterin

Titel: Die Perlenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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glaub’s nicht, was ich hier mache«, murmelte sie aufrichtig bestürzt.
    Webster richtete sich auf und band das Halfter des Kamels hinten an den Pickup. Farouz führte das Fohlen zu ihnen. Webster schüttelte Sami die Hand. »Schöne Maid, das haben Sie verdammt gut gemacht!« Sami errötete vor Freude.
     
    Sie ließen die wilden Kamele bei Webster in einem Pferch zurück, wo sie auf Bobby und den Lastwagen warten sollten. Am nächsten Tag machten Sami und Farouz sich zum Dari-Außenposten auf. Das Hauptdorf, das dreißig Kilometer weiter südlich lag, wollten sie umfahren.
    »Wie lange werden wir da bleiben?«, wollte Sami wissen, als sie das Farmgelände verließen.
    »Ein paar Tage. Das dürfte reichen. Heute Nacht schlafen wir draußen und kommen dann morgen früh an.«
    Sami freute sich. Die Kameljagd hatte ihre Lust auf Abenteuer geweckt, und die Halbwüste, durch die sie nun fuhren, bot einen interessanten Kontrast zur Küste und den Hochebenen der Kimberley-Region. Unterwegs redeten sie nicht viel, doch abends an ihrem kleinen Lagerfeuer wirkte Farouz so entspannt, wie Sami ihn noch nie erlebt hatte.
    Sie kam zu der Überzeugung, dass er ein echter Einzelgänger, ein Mann der Wüste war. Das lag ihm wohl im Blut. Er erzählte ihr alte Geschichten: wie sein Großvater nach Australien gekommen war und mitgeholfen hatte, das Landesinnere mit Kamelkarawanen zu erschließen, die Vorräte zu den Ländereien, den Bergwerken und Siedlungen brachten. Sein Großvater hatte eine Aborigine geheiratet und sich im Norden niedergelassen. Farouz war von seinem Vater großgezogen worden. Sie hatten isoliert in der Wüste gelebt.
    »Ich bin einmal zurück in die Heimat geflogen, nach Herat. Und weil mein Vater mir Geschichten erzählt hatte, hatte ich das Gefühl, die Stadt gut zu kennen«, schwelgte Farouz in seinen Erinnerungen.
    »Woran erinnern Sie sich noch?«
    »An Granatäpfel; daran, dass uns alle Türen offen standen, an die wunderschönen Moscheen, Bazare und farbenprächtigen Gebäude, an Brunnen – und an Teppiche, Teppiche, Teppiche. Es war genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte. Genauso, wie mein Vater es mir beschrieben hatte. Dabei war er nur ein Mal dort gewesen.«
    »Scheint so, als würde jede Generation diese Reise als eine Art Pilgerfahrt unternehmen«, bemerkte Sami.
    Farouz stocherte mit einem langen Stock im Feuer, sodass ein ganzer Schwall Funken zum stillen Nachthimmel aufstieg. »Es ist unsere Abstammung, nicht wahr? Die Vergangenheit ist immer bei uns.«
    »Aber Sie sind doch genauso Australier wie ich«, sagte Sami. In der schlechten Beleuchtung entging ihr das Lächeln, das kurz im runzligen Gesicht ihres Freundes aufblitzte. Sie fuhr fort: »Ich mag die Geschichten, die Sie mir erzählt haben, besonders die mit dem ersten König – Ahmed, die Perle der Perlen.«
    »Alle Menschen haben ihre Geschichten darüber, wo sie herkommen, wie das Land erobert oder gewonnen wurde, die Pilger, die Philosophen und die weisen Männer. Das Land unserer Geburt erhebt auf eine Weise Anspruch auf uns, das Land unserer Vorfahren auf eine andere. Wir sollten beide in Ehren halten, ebenso wie den Ort, den wir unser Zuhause nennen. Mein Zuhause ist die australische Wüste.«
    »Und die Familie? Welche Ansprüche stellt die Familie an Sie?«, fragte Sami.
    »Ich teile die Bardi-Angehörigen meiner Frau, und die chinesischen Verwandten ihres Vaters. Sie starb vor einiger Zeit. Ich habe meinen Kindern viele Geschichten über unsere Anfänge erzählt«, versetzte er.
    »Ihnen sind die Geschichten also nie ausgegangen, was?«
    »Kein Fernsehen. Ich habe meine Geschichten am offenen Feuer erzählt«, sagte er. »Bis sie die Videos bekamen. Jetzt erzähle ich meinen Kamelen, dass meine Familie an vielen Orten lebt.« Er sah sie an und sagte beiläufig: »Sie werden Ihren Kindern viele Geschichten erzählen können.«
    »Nach dieser Reise bestimmt«, stimmte Sami zu. Dann wickelte sie sich in ihr Bettzeug und sah hinauf zu den Sternen, die so nah schienen. Sie dachte an die Geschichten, die die Menschen in ihren Herzen und Köpfen bewahrten. Und sie beschloss, sich mit ihrer Mutter zusammenzusetzen und sie zu bitten, ihr ein paar von ihren Geschichten zu erzählen. Sami war bisher nie neugierig auf das Leben, die Geschichten ihrer Mutter gewesen. Für ihre Dissertation tauchte sie in die visuelle Welt der Kunst ein. Doch nun sah sie immer deutlicher, dass es die Geschichten zu den Bildern und den Menschen waren, die

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