Die Perlenzüchterin
Creek. Er führte zu ihren Pachtgründen am anderen Ende der Bucht. Tim war überzeugt, dass der Creek zu viel Süßwasser in die Bucht geführt und sich so der Salzgehalt ihrer Zuchtgründe verändert hatte. »Das Wasser ist nicht nährstoffreich genug. Wir müssen uns nach neuen Betten für die Babys umsehen«, so hatte er es formuliert. Dave, der schon viele Zyklone erlebt hatte, machte sich wegen des Wetters mehr Sorgen als wegen der Wasserqualität.
Sie massierte ihre Stirn mit beiden Händen, um die Spannung im Kopf zu lindern. Es gab so viel zu bedenken! Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, wie verletzlich Austern sind, wie anfällig für Parasiten und Bakterien, die die Perlenproduktion verhinderten oder die Auster sogar töteten. Lily musste außerdem einen Bericht für die Investoren schreiben, in dem sie die Japaner über ihre Fortschritte und die kurzfristigen Pläne unterrichtete. Die beiden mussten erfahren, dass sie an einer neuen Stelle wilde Austern fangen wollten. Vielleicht konnte Mika einen Begleitbrief auf Japanisch verfassen. Das wäre eine nette Geste, fand Lily.
Sie wandte sich wieder den Papieren auf ihrem Schreibtisch zu, hielt inne, sah sich um und lächelte. In wenigen Monaten hatte sie ihr Leben völlig neu geordnet – sogar die Sorgen und den Stress. Die Herausforderung, hierher zu kommen und etwas Neues zu beginnen, zu beweisen, dass sie einer Aufgabe gewachsen war, die die meisten ihr nicht zutrauten, all das war noch befriedigender, als sie gedacht hatte. Das wirtschaftliche Denken und die Verantwortung für das Unternehmen fesselten sie über alle Maßen. Ihre frühere Arbeit, ihr altes Leben schienen schon Lichtjahre entfernt zu sein.
Dale ebenfalls. Bei seinen häufigen Anrufen drängte er sie entweder zur Rückkehr nach Broome, oder drohte ihr an, seinerseits zur Farm zu kommen. Bisher hatte Lilly ihn hingehalten, was ihr bei dem Arbeitsaufkommen auf der Farm nicht schwer fiel. Dale passte nicht hierher – auch nicht für ein Wochenende. Die Farm war ihr Revier, und ihr Engagement dort erforderte eine enge Zusammenarbeit mit Menschen, die nicht in Dales Welt passten. Ihr war klar, dass sich die Basis ihrer Beziehung verschoben hatte. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er auf der Star Two herumlaufen und alles und jedes seinem kritischen Blick unterziehen würde.
Bobby holte Mika in ihrer einfachen Unterkunft ab, und im alten Geländewagen seines Vaters verließen sie Broome. Sie war viel entspannter als bei ihrer ersten Verabredung. Erst ein paar Wochen zuvor war Mika von einer Reise an die Ostküste zurückgekehrt. Ihre Reiseroute hatte sie von Cairns nach Sydney geführt, dann in den Westen und schließlich mitten durchs Zentrum und durch Alice Springs nach Broome zurückgebracht.
»Ich kann’s immer noch nicht fassen, dass du wieder hergekommen bist, nachdem du so viele Orte im Osten besucht hast«, meinte Bobby, als sie abfuhren. »So interessant kann dieser Geschichtskram, den du da im Museum studierst, eigentlich nicht sein.«
»Für mich ist es etwas Besonderes, weil ich aus einer Gegend in Japan komme, die eine lange Perlenzuchttradition hat«, erklärte Mika. »Gestern habe ich mir den japanischen Friedhof angesehen. Hochinteressant, aber auch sehr traurig.« Sie verließen den Asphalt und kamen auf die unbefestigte rote Straße. »Ah, das echte Outback, stimmt’s?«, sagte sie enthusiastisch. »Das kann meine Familie zu Hause nicht verstehen.«
»Was denn?«, fragte Bobby. »Was ist daran so schwer zu verstehen?«
»Das besondere Gefühl, das diese Gegend hervorruft.« Sie warf einen Blick um sich, auf die Straße und den Busch. »So viel …« Sie hielt inne, um das passende Wort zu suchen. »So viel Nichts.«
Bobby nickte verständnisvoll. Dann ergänzte er: »Aber es ist nicht nichts, es ist nicht leer, falls du das meinst. Da draußen ist ganz viel.« Doch es schien nicht der richtige Moment zu sein, um ihr zu erklären, wie das Land in den Augen der Aborigines aussah. »Ist das dein erster Besuch auf einer Perlenfarm hier?«
»Ja, abgesehen von dieser Touristenfarm in der Nähe von Broome. Die habe ich mir angesehen, als ich gerade angekommen war. Ich freue mich schon sehr auf Mrs. Bartons Farm.«
Bobby wollte sie schon fragen, ob sie den Hovercraft-Ausflug mitgemacht und sich die Creeks, das Watt und das Wrack des Catalina-Flugboots angesehen hatte, das im Zweiten Weltkrieg von japanischen Flugzeugen zerstört worden war. Doch dann
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