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Die Perlenzüchterin

Die Perlenzüchterin

Titel: Die Perlenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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konnte. »Goonamulli meint, dass du deine Pflichten gegenüber deinen Leuten erfüllen musst – gegenüber deiner Familie und dem Land, aus dem sie stammt.«
    Sami antwortete nicht, sondern rutschte nach hinten. Wie konnte der alte Mann von ihrer Familie wissen? Das Gespenst, das sie verfolgte – das Wissen ihrer Mutter um die Familiengeschichte –, da war es wieder. Ohne darum gebeten zu haben, war Sami erneut damit konfrontiert.
     
    Es war beinahe hell. Lily öffnete die Balkontür und blickte auf die silbern schimmernde Bucht. Wie sie es liebte, so nahe am Meer zu sein! Ihr Sternzeichen war Fisch, und die Nähe des Wassers war Balsam für ihre Seele. Sie wurde es nie leid, die Farben, Stimmungen und Gezeitenwechsel des Wassers zu beobachten. Es flutete vom Indischen Ozean in die Bucht, durch die Mangrovenwälder und über das Watt, um zuletzt sanft gegen das Ufer um die Apartmentanlage herum zu plätschern.
    Im Wasser entlang dieser Küste lagen hässliche Kreaturen verborgen, die Männer in den Tod lockten: die schlammfarbene, mit Seepocken besetzte Auster Pinctada maxima. Doch im Inneren der tellergroßen Muschel brachte die Natur die prachtvollsten, exquisitesten, schönsten Perlen der Welt hervor.
    Aus einem Impuls heraus zog Lily Badeanzug und Sarong über und legte die prächtige Perlenkette ihrer Großmutter an. Warm berührten die Perlen ihre Haut, als wären sie lebendig. Barfuß ging sie zum Auto; sie wollte am Cable Beach in den Tag hinein schwimmen. Dort würden die alten Perlen für kurze Zeit in ihre Wasserheimat zurückkehren.
    Es herrschte kaum Verkehr. Enyas einschmeichelnde Stimme erfüllte das Auto. Alles war friedlich, dennoch hielt sie Ausschau nach grasenden Kängurus, die ihr vors Auto hüpfen könnten. Im nächsten Augenblick schrak sie zusammen. Scheinbar aus dem Nichts tauchten hinter ihr zwei Wagen auf und lieferten sich mit aufheulenden Motoren ein Wettrennen. Ein alter roter Kombi mit drei jungen Aborigines wurde verfolgt von einem grünen Ford Falcon, in dem zwei grinsende, laut brüllende weiße Jungs mit Bierdosen saßen.
    Die Straße war nicht breit genug für drei Autos, deshalb wich sie auf den Seitenstreifen aus. Bei dem Versuch, den Wagen unter Kontrolle zu bringen, wirbelte sie rote Erde und Schotter auf. Obwohl sie sich auf ihr eigenes Fahren konzentrierte, bekam sie aus dem Augenwinkel mit, wie der grüne Wagen den roten anstieß und dass dessen Heck gefährlich hin- und herschwang, als die beiden um eine Kurve verschwanden.
    Lily hatte dem Drang, abrupt zu bremsen, widerstanden. Nun kam sie zum Stehen. Alles war wieder still, doch ihr Herz schlug ihr bis zum Halse. Sie atmete mehrmals tief durch. Die Straße war leer. Langsam setzte sie ihren Weg zum Cable Beach fort. War das nun freundschaftliche Rivalität gewesen, einfach gute Stimmung, noch befeuert durch Alkohol? Oder war die Situation zwischen den beiden anderen Autos bedrohlich?
    Nach der nächsten Kurve ging alles im Zeitlupentempo ineinander über. Aus einem explodierten Kühler stieg Dampf auf. Die beiden Autos waren zusammengestoßen; eines stand hinter dem Randstreifen in den Büschen, das andere auf der Gegenfahrbahn. Der rote Wagen war ihr am nächsten. Ein Stück die Straße entlang sah sie eine Gestalt aus dem anderen Fahrzeug taumeln.
    Sie fuhr an den Straßenrand und rannte stolpernd zum roten Auto. Ein gebrochener Arm hing aus dem Fenster; weiße Knochen traten zutage. Auf der anderen Seite stand die Tür offen, und ein junger Mann lag ausgestreckt auf der Erde. Noch ehe Lily ihn erreichte, hatte sie das Gefühl, als griffen Klauen nach ihrer Kehle. Als sie den Mann herumdrehte, sah sie in das aufgeschürfte, blutende Gesicht von Eugene. Sie kannte den jungen Aborigine von seinen Besuchen bei Rosie und Harlan. Seine Lider flatterten und öffneten sich. Der Blick war glasig, doch er war bei Bewusstsein. Und er schien sie zu erkennen.
    »Versuch, still zu liegen. Spürst du deine Beine? Deinen Arm?« Er deutete auf seine Hüfte und stöhnte schwach. Das Bein seiner Jeans war rotgetränkt. »Lieg still, atme tief. Du kommst wieder in Ordnung. Ich muss nach den anderen sehen.«
    Der Junge mit dem schwer verletzten Arm, der gefahren war, versuchte gerade, durch die Beifahrertür auszusteigen. Sie beugte sich zu ihm und half ihm hinaus. Er sank neben dem Wagen zu Boden und wiegte seinen verletzten Arm.
    Lily rannte die Straße hinab zum anderen Auto. O Gott, warum kam denn niemand vorbei? Es war kurz vor

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