Die Perlenzüchterin
Krabbenexpedition setzte sich bei Sonnenaufgang von einem schmalen Strand beim Hafen aus in Bewegung. Ross war begeistert gewesen. Die vier verteilten ihr Gewicht gleichmäßig in dem leichten Aluminiumboot. Eugene saß im Heck beim Motor. Sie sausten über die Bucht, durch eine Fahrrinne, die in einen der mangrovengesäumten Creeks führte. Sami blickte zurück zum Ufer und erkannte das rosafarbene Gebäude der Moonlight Bay Apartments und daneben das elegante weiße Mangrove Hotel. Zum ersten Mal konnte sie sich die Route der Perlenlogger vorstellen, wenn sie von hoher See in die weite Roebuck Bay und dann in die Priele gesegelt waren, welche die Mangroven zum Ufer hin durchzogen. Eugene suchte das Ufer ab. Als er eine schmale Öffnung sah, stoppte er den Motor. Sie glitten in flaches, schlammiges Wasser, sprangen aus dem Boot und zogen und schoben es auf den Schlick. Eugene und Bobby teilten die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände aus: lange Metallstäbe mit einem Haken an einem Ende, dicke Handschuhe und für jeden einen Jutesack.
Ross fand die erste Krabbe. Sie war so groß wie ein Essteller und schiefergrau wie der Schlamm. Als er ihr hinterherjagte, glitt er aus, und die Krabbe versteckte sich in den Mangroven. Man fing sie schließlich doch mit dem Stab und steckte sie in einen Sack. Von diesem Augenblick an bekam die Aktion etwas von einem Wettbewerb. Rufe und Gelächter begleiteten jeden Erfolg oder Misserfolg.
Es war witzig. Sami bekam Spaß an der Sache und setzte einer flüchtenden Krabbe nach, stolperte und stürzte. Sie wollte wieder aufstehen, steckte aber bis zu den Knien im Schlamm fest. Als Sami merkte, dass die anderen sie nicht sahen, geriet sie in Panik. Verängstigt schrie sie: »Bobby, Ross, Eugene!«
Bobby erreichte sie als Erster. Er benutzte seinen Stab als Stütze. »Alles in Ordnung, Sami, strampel nicht so, du machst es nur schlimmer.« Er packte sie unter den Achseln, und mit einem saugenden Geräusch zog sie zuerst eines ihrer Beine aus dem Schlick, dann das andere. Als sie auf festerem Boden standen, wo Mangrovenwurzeln sprossen, rümpfte Sami die Nase. »Gott, dieses Zeug stinkt!« Sie lächelte schief. »Danke, Bobby. Jetzt ist mir klar, warum ich alte Sachen anziehen sollte!«
»Kein Problem. Du trocknest ja wieder«, erwiderte er mit einem Blick auf den glitschigen Schlamm auf ihrem T-Shirt und ihrer Jeans. Doch innerlich verfluchte er sich. Wieso gab es jedes Mal, wenn er etwas organisierte, Probleme? Wenigstens nahm Sami die Sache mit Humor!
Eugene war ein meisterhafter Krabbenfänger. Mühelos schnappte er Krabbe auf Krabbe, während die anderen wild um sich schlugen und ihnen mehr entwischte, als sie fingen. Als Sami ihre erste Beute gefunden, gestellt und gefangen hatte, empfand sie ein Hochgefühl. Schließlich verkündete Eugene, sie würden an eine andere Stelle fahren. Die Bucht entlang tuckerten sie zu einer kleineren, sandigen Bucht, umgeben von roten und bronzefarbenen Felsen.
Unter den Felsen am Wasserrand stöberten sie einige kleine Krabben auf, die sich in Felsspalten verbargen. Um sie zu fangen, mussten die vier sich auf den Boden legen und die Krabben mit den Metallstäben aus ihren Verstecken treiben. Eugene hatte eine kleine Taschenlampe dabei, doch meistens stocherten sie aufs Geratewohl in den Spalten. Die Krabben klammerten sich mit aller Macht an den Fels.
»Wenn sie so kämpfen, dann ist es nur fair, dass ein paar gewinnen«, meinte Bobby, nachdem sie einige erbeutet hatten.
»Geht doch nichts über einen kleinen Kampf«, meinte Ross. »Wie beim Barramundiangeln.«
»Ich kenne ein paar gute Barramundiplätze. Soll ich dich beim nächsten Mal mitnehmen?«, fragte Bobby.
»Super. Ich bin dabei.«
»Wie lange bleibst du denn noch, Ross?«, fragte Sami. Sie konnte ihn sich nur schwer mit Uniform in Melbourne vorstellen. Er wirkte so … typisch Broome eben.
»O bitte, verdirb mir nicht den schönen Morgen! Ich mag gar nicht daran denken, dass ich in die Betonwüste zurückmuss!«
Sami lächelte ihm zu, während sie und Eugene ein kleines Feuer entfachten, um Tee zu kochen.
»Na ja, um ehrlich zu sein, denke ich darüber nach. Ziemlich viel.«
»Übers Zurückgehen?«
»Nee, übers Bleiben.«
»Ach. Geht das denn?«, fragte sie. »Was ist mit deiner Arbeit? Oder deiner Familie?«
Er zuckte mit den Achseln. »Das sind gar nicht die Hindernisse. Das größte Hindernis bin ich selber … Die Frage, ob ich bereit bin, mich in ein ganz neues
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