Die Perlenzüchterin
diese Reise in die Kimberleys hatte sie gezwungen, ihre Einstellung in vielen Punkten einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Sie kam zu dem Schluss, dass ihre Haltung wohl auch eine emotionale Abwehrreaktion gegen die Begeisterung ihrer Mutter war, als Lily den Aborigine-Zweig der Familie und die lebendige Verbindung nach Broome entdeckt hatte. Damit ins Reine zu kommen, das hatte bei Sami nicht auf der Agenda gestanden … bisher. Sie war Rosie dankbar für den Versuch, bei einem kurzen Galerie-Rundgang den ersten Schritt über diese Kluft zu tun.
»Weißt du viel darüber, wie die Aborigine-Künstler ihre Sicht der Welt in ihren Bildern ausdrücken?«, fragte Sami. »Bridget und Goonamulli haben versucht, es mir zu erklären. Ich bin es gewohnt, Kunst nach europäischen Maßstäben zu beurteilen – Form, Linienführung, Komposition, Farbe. Bei Aborigine-Kunst ist es angeblich wichtiger, wo das Werk entstanden ist. Es vereinigt in sich den Ort wie auch die Kultur und die Menschen, habe ich Recht?«
»Absolut, und das ist der Unterschied zu, sagen wir, einem weißen Landschaftsmaler, der nur malt, was er vor sich sieht.« Rosie machte eine weit ausholende Handbewegung. »Diese Maler gehören in ein bestimmtes Land und haben das Recht, ihre Geschichten wieder und wieder zu erzählen. Aber sie können sie jedes Mal anders erzählen.«
»Hmm, auch wenn sie Variationen ein und desselben Themas sind, ist es, als wenn man sich deinen Garten ansieht, denke ich. Er sieht jeden Tag anders aus.« Sami rang mit diesem Kunstverständnis, das sich sehr von dem unterschied, was sie studiert hatte.
»Genau, nur dass der Künstler vielleicht jedes Mal, wenn er die Geschichte erzählt, einen geschichtlichen Bezug oder ein Element aus der Traumzeit einbaut, oder auch ein modernes Ereignis. Mit dem westlichen Blick kann man es nicht sehen, aber die Aborigines wissen, dass dieses Element enthalten ist.«
Sami war klar, dass sie noch mehr Zeit mit Rosie, Goonamulli und Bridget verbringen musste. Sie wollte so gerne die verschiedenen Schichten dieser Kunst sehen. Waren in dem Gemälde geheime oder heilige Botschaften, die die Macht hatten, zu verführen oder Geister zu beschwören? Das lieferte ihr zweifelsohne weiteres Forschungsmaterial für ihre Dissertation. Sie setzte sich an Rosies altes Rollpult und begann, sich Notizen zu machen.
»Ahoi da drin! Oder ist das hier eine Schweigezone?«
»Hallo, Palmer.« Sami kam hinter dem Schreibtisch hervor und betrat die Galerie. »Schon wieder ein großer Auftritt. Du bekommst zweieinhalb Sterne.« Sie lachte.
Er nahm seinen arg mitgenommenen Buschhut ab. »Ah, was für eine Sammlung! Beeindruckend. Rosie hat sich selbst übertroffen. Es ist richtig, dass sie direkt bei den Künstlern kauft, das sieht man an der Qualität der Arbeiten, die sie verkauft. Und ich liebe dieses Gebäude, du nicht auch? Es ist selbst beinahe ein Kunstwerk. Eines der wenigen Originale in der Stadt, würde ich sagen«, meinte Palmer und berührte anerkennend die Holzwand. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den Kunstwerken zu. »Das sind ganz fantastische Sachen, kein Wunder, dass die Topsammler zu ihren Kunden gehören.« Er sah Sami an. »Also, wo ist der Mann, der mir die Dinosaurier zeigt?«
»Wir treffen Eugene beim Häuschen eines Freundes. Er wohnt da mit einem anderen Freund und passt darauf auf. Könnte dir gefallen. Der Beschreibung meiner Mutter nach zu urteilen ist es alt, aber ziemlich heruntergekommen.«
»Vielleicht ein weiteres Original?«
»Ich glaube schon. Jedenfalls liegt es dicht am Dampier Creek. Wir werden da auch Rosie und Biddy treffen. Sie wollen sich den Sonnenuntergang ansehen.«
»Klingt gut. Wie könnte ich eine Einladung ablehnen, die Sonne vor einem originalen Wohnhaus aus Broomes Vergangenheit an einem Wasserlauf von historischer Bedeutung untergehen zu sehen?«
»Ich wusste, du würdest dich in die passende Stimmung versetzen. Könntest du mir jetzt bitte beim Abschließen helfen?«
Palmer ging zu einem Fenster, um es zu schließen, blieb jedoch unterwegs stehen und starrte auf einen Tisch in einer Ecke. Dort lagen die neuen Knüpfarbeiten und Gemälde ausgebreitet. »Also, die hier sind ja interessant, beinahe orientalisch.« Er nahm eine der Baumwollleinwände und studierte sie mit gerunzelter Stirn.
Neugierig gesellte Sami sich zu ihm. »Die hat Farouz mitgebracht. Meinst du mit ›orientalisch‹ den Mittleren Osten?«
»Hm-hm. Komisch, dass wir kurz
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