Die Perserinnen - Babylon 323
brechen.
Auch von Hephaistion hörte Paruschjati gelegentlich; er
befehligte die makedonische Reiterei und stieg zu einem der wichtigsten
Heerführer des Königs auf. Sie hatte erwartet, dass die Erinnerung an ihn
allmählich verblassen würde, doch nachts träumte sie manchmal noch von ihm. Sie
ritt neben ihm auf der Prozessionsstraße auf das Ischtar-Tor zu und erlebte
noch einmal diesen einen Augenblick des Glücks. Oder sie war wieder mit ihm in
Alexandria und hörte die Stimmen der Menschen, die hier eine neue Heimat finden
würden. Und wenn sie dann aufwachte, blieb sie auf dem Rücken liegen, sah zu
den geschnitzten Deckenbalken auf und stellte sich vor, wie es wäre,
Hephaistion zu heiraten. Mächtig genug, um mich zu beschützen, nicht so
mächtig, dass er deswegen in Gefahr schwebt. Tagsüber versuchte sie diese
Gedanken zu verdrängen. Ihre Träume in der Nacht waren nur Ausdruck kindischer
Schwärmerei, sagte sie sich, wie die von Statira.
Statira war immer noch felsenfest davon überzeugt, dass
Alexander sie eines Tages heiraten würde. Sie war schrecklich enttäuscht
gewesen, als sie in Susa zurückbleiben musste, zumal Barsine ihn nach Osten
begleiten durfte. Als sie erfuhr, dass die Rivalin ihm einen Sohn geboren
hatte, war sie einen Monat lang völlig unausstehlich. Ihr einziger Trost
bestand darin, dass der König Barsine trotzdem nicht offiziell zur Frau
genommen hatte. Dann traf die Nachricht ein, dass er die Tochter eines
baktrischen Adligen geheiratet hatte. Ihr Name war Raukschana.
„Ein Mädchen von niedrigem Rang!“, ereiferte sich Statira.
„Sicher hat der König sie nur geheiratet, um ihren Rebellenvater zur
Kapitulation zu zwingen. Aber wenn der König die Aufständischen besiegt hat,
wird er nach Schuscha zurückkehren und mich zu seiner Gemahlin machen – mich,
die Tochter des Großkönigs! Dann wird er Raukschana und Barschina in den hintersten
Winkel des Palasts verbannen, wo sie als unbedeutende Nebenfrauen versauern
können.“
Paruschjati verstand sich mit Statira und Amaschtri so wenig
wie zuvor, und auch mit den meisten anderen Mädchen im Palast hatte sie sich
wenig zu sagen. Nachdem Atarepata wieder als Satrap von Medien eingesetzt
worden war, hatten Parmusch und Gambija nach Hause zurückkehren dürfen. Schon
vorher war Frataguna mit der kleinen Faiduma bei Vidarna in Babylon geblieben.
Da Barsine mit dem König im Osten war, blieb Paruschjati mit ihrer Mutter
allein in Susa zurück, und sie fühlte sich oft einsam.
Immer wieder trafen im Palast von Susa Frauen und Kinder
ein, die bei den Kämpfen im Osten in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Unter
ihnen war Apama, die Tochter eines baktrischen Adligen namens Spitamana. Nach
Baisas ruhmlosem Ende hatte er den Kampf gegen die Eindringlinge fortgesetzt –
bis seine Verbündeten ihn verrieten und Alexander seinen Kopf schickten. Das
kam Paruschjati inzwischen bekannt vor. Anscheinend gab es bei den Arija keine
Ehre und keinen Zusammenhalt mehr. Apama redete in einem fort über den
heldenhaften Widerstand, den die Arija im Osten angeblich leisteten.
Paruschjati aber glaubte längst nicht mehr daran, dass sie sich Alexander auf
Dauer widersetzen konnten.
Obwohl die Jahre in Susa äußerlich so gleichförmig waren,
wurden sie für Paruschjati dennoch zur interessantesten Zeit ihres Lebens. Der
König hatte angeordnet, dass die Töchter der adligen Familien, die im Palast
aufwuchsen, Unterricht erhielten, nicht nur in der griechischen Sprache,
sondern auch im Lesen und Schreiben und in allem anderen, was zu einer
griechischen Erziehung gehörte. Mit dem Griechischunterricht war die
Königinmutter durchaus einverstanden gewesen, doch wozu sollen Prinzessinnen Lesen
und Schreiben lernen? Wozu gab es Schreiber, die für sie schrieben? Doch der
König hatte darauf bestanden.
Paruschjati dagegen war vom Lernen fasziniert. Natürlich
waren die Griechen manchmal schrecklich vulgär, fand sie, doch in vieler
Hinsicht stellte ihre Kultur eine große Bereicherung dar. Die Griechen machten
sich Gedanken über die Natur, das Wesen der Gerechtigkeit und darüber, wie ein
Staat regiert werden sollte. Sie verfassten Bücher über Tiere und Pflanzen, die
Heilkunst und das Wetter, den Bau von Städten und Brücken, schrieben
Theaterstücke und Gedichte, erzählten Geschichten von Göttern und Helden. Sie
beschrieben die Gestalt der Erde, die Länder und Völker auf ihr sowie ihre
Geschichte, und auch wenn vieles davon (besonders wenn es
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