Die Perserinnen - Babylon 323
etwas
hineingezogen zu werden, während Thais erklärte, für Skrupel sei es inzwischen
zu spät, im Übrigen werde er gut bezahlt. Bald verstummten die Stimmen, und
eine Tür schloss sich mit leisem Geräusch.
Paruschjati öffnete die Augen. Sie lag in einer kahlen
Kammer auf einer Liege. Ihre Schläfe pochte, und das Licht blendete ihre Augen.
Ein seltsames Gefühl, dass ihr einmal etwas anderes wehtat als der Bauch, doch
sie wusste die Abwechslung nicht zu schätzen.
Dann bemerkte sie, dass sie splitternackt war.
Mit einem Ruck setzte sie sich auf. Sofort schoss ihr ein
stechender Schmerz durch den Kopf, und sie ließ sich ächzend zurück auf die
Matratze sinken. Paruschjati schloss die Augen und nutzte die Zeit zum
Nachdenken.
Thais musste einen Trupp von Schlägern angeheuert haben, um
sie und ihre Eskorte zu überwältigen. Doch wussten sie, wann und wo sie ihr
Opfer finden würden? Wahrscheinlich, überlegte Paruschjati, waren die Ausgänge
ihrer Gemächer überwacht worden. Als sie mit Apama mitten in der Nacht
aufgebrochen war, lediglich von zwei Eunuchen und einem Kammermädchen
begleitet, hatte der Spion die Angreifer alarmiert. Dann hatten sie einfach nur
beim Hintereingang warten müssen, bis Paruschjati zurückkehrte. Die mysteriösen
Verfolger, die sie nach dem Treffen mit Ephippos und seinem Informanten bemerkt
zu haben meinte, waren offenbar doch keine Einbildung gewesen. Thais’
Schlägerbande hatte wohl schon in dieser Nacht auf eine Gelegenheit gewartet,
nur Atalantes plötzliches Auftauchen hatte sie verscheucht.
Paruschjati wartete, bis der Schmerz in ihrem Kopf sich zu
einem dumpfen Pochen zurückentwickelt hatte, das halbwegs auszuhalten war. Dann
setzte sie sich auf und rieb sich die Schläfen, während sie die einzelnen
Punkte ihres weiteren Vorgehens durchging.
Punkt eins: anziehen. Sie legte keinen Wert darauf,
unbekleidet in den Katakomben des Palasts angetroffen zu werden. Ihre Kleider fand
sie in einer Ecke auf dem Boden. Punkt zwei: sich vorsichtig überzeugen, dass
ihre Peiniger wirklich verschwunden waren. Punkt drei: nach Ischna und den
beiden Eunuchen suchen.
Sie fand alle drei bewusstlos in einer angrenzenden Kammer.
Ischna hatte eine dicke Beule auf der Stirn, die sich schon zu verfärben
begann. Es hatte nicht viel dazu gehört, das Mädchen ins Reich der Träume zu
befördern. Nach ein paar sanften Klapsen auf die Wangen wurde es schnell wieder
wach. Die beiden Eunuchen hatte es schlimmer getroffen. Artaschura blutete
stark aus einer Platzwunde auf dem Hinterkopf, ihm war schwindlig, und er
musste von Farnakia und Ischna gestützt werden, als sie sich zu Paruschjatis
Gemächern zurückschleppten.
Kein Wunder, dass Thais sich bei ihrer Begegnung in den
Hängenden Gärten so nachgiebig und verständnisvoll gegeben hatte. Statt weiter
in Paruschjati zu dringen, hatte sie es vorgezogen, ihr aufzulauern, sie
bewusstlos zu schlagen, ihr die Kleider vom Leib zu reißen und sie den Blicken
eines wildfremden Mannes preiszugeben. So viel zu ihrem Takt und ihrem
Feingefühl.
11
Draußen wurde es allmählich dunkel. Man merkte es daran,
dass das Licht in der großen Halle im Palast von Susa schwächer wurde,
gleichzeitig aber auch intensiver, sodass es alle Farben zum Glühen brachte –
die bunten Wandmalereien, die Teppiche und Vorhänge und die prunkvollen
Gewänder der Frauen.
Frauen waren überall, sie füllten den Saal sowie die
angrenzenden Räume und Innenhöfe. Sie standen oder saßen in kleinen Gruppen,
und im Zentrum jeder Gruppe befand sich eine junge Frau im Brautschmuck,
umlagert von nervösen Müttern, aufgeregten Schwestern und Tanten, von Eunuchen,
Palastdamen und Dienerinnen. In der Mitte des Saales bewegten sich Tänzerinnen
zu den Klängen der Musik. Sie bildeten eine Kette und tanzten Arm in Arm,
trennten sich wieder und wirbelten um die eigene Achse, dass ihre bunten
Schleier flogen. Ein traditioneller Hochzeitstanz.
Es waren nicht weniger als zweiundneunzig Bräute. Ziemlich
viele auf einmal, dachte Paruschjati sarkastisch. Sie nahm sich einen
Honigkuchen von dem Tablett auf dem Tisch. Neben ihr saß ihre Nichte Gambija,
auch sie im Brautschmuck, wie auch Paruschjati selbst. Der Tanz näherte sich
dem Ende, die Tänzerinnen kamen zum Stehen und breiteten die Arme aus, und die
Musik verstummte, ehe sie leiser und deutlich ruhiger wieder aufgenommen wurde.
„Freust du dich?“, flüsterte Gambija Paruschjati zu. Auf
ihren Wangen glühten zwei rote
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