Die Perserinnen - Babylon 323
ihre Worte
erstickt, obwohl sie schreien wollte.
„Für die Tochter eines Großkönigs bist du erstaunlich zart
besaitet“, erwiderte er spöttisch. „Was glaubst du, wie deine Vorfahren zu dem
Reich gekommen sind, auf das ihr immer so stolz wart? Meinst du, eure
Untertanen haben sich freiwillig unterworfen, weil sie die Herrschaft der
Perser so milde und gerecht fanden? Nein, diese Völker liebten ihre Freiheit,
doch ihre Häuser und Hütten wurden ebenso niedergebrannt wie die der Kossäer,
deren Qualm dir angeblich so viel Unbehagen bereitet. Und auch ihren Frauen und
Kindern erging es nicht besser.“
Energisch warf sie ihren Zopf nach hinten. „Ja, das Reich
meiner Vorfahren war auf Krieg und Eroberung gegründet – wie jedes andere seit
Menschengedenken! Aber bei allem Blutvergießen haben die Großkönige auch Gutes
geschaffen.“
Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Und das wäre?“
„Unter ihrer Herrschaft konnten alle Völker in Frieden
leben. In ihrem Reich herrschte es Recht und Ordnung für alle.“
„Nur für die, die sich unterwarfen.“
„Das kann sein, aber es ist mehr, als man über alle
mächtigen Reiche zuvor sagen kann. Dir dagegen geht es nur um dich selbst, um
deine Macht, deinen Ruhm, deine Selbstgefälligkeit! Deshalb hast du deine
Heimat verlassen und Krieg gegen mein Volk geführt, einen Krieg, in dem
unzählige Menschen ihr Leben verloren haben. Aber anders als meine Vorfahren
hast du dabei nichts Gutes geschaffen, du hast nichts als Zerstörung über die
Welt gebracht. Alles nur, um deine grenzenlose Machtgier zu befriedigen.“
„Das ist nicht wahr!“, schrie er und machte einen Schritt in
ihre Richtung, und einen Augenblick lang fürchtete sie, er wolle sie schlagen.
Abrupt blieb er stehen, bestürzt über ihre Reaktion. Eine Frau zu schlagen, war
wirklich das Letzte, was ihm einfallen würde, so weit kannte sie ihn inzwischen
immerhin.
Beschämt wandte er den Blick ab und fuhr ruhiger fort: „In
einem hast du recht: Als ich vor zehn Jahren nach Asien aufbrach, ging es mir
tatsächlich nur um Macht und Ruhm. Ich war jung und wusste es nicht besser.
Dann besiegte ich den Großkönig, bezwang jeden Feind, brach jeden Widerstand.
Nichts schien mir misslingen zu können. Doch je weiter ich vordrang, je größer
mein Erfolg war, umso klarer wurde mir in all den Jahren eines: dass ich
Verantwortung trage für die Länder, die ich erobert hatte; dass ich etwas Neues
anstelle des Zerstörten schaffen muss.“
Paruschjati atmete tief durch. „Wenn das so ist, warum
fängst du nicht endlich damit an?“
„Das habe ich doch längst!“ Auf seinem Gesicht zeigte sich
Verzweiflung. „Ich habe Städte gegründet, um die griechische Kultur über die
ganze Welt zu verbreiten. Ich habe versucht, Sieger und Besiegte miteinander zu
versöhnen. Doch überall stoße ich auf Unverständnis. Auf Ablehnung, Ignoranz,
Borniertheit. Niemand versteht es, Hephaistion war der Einzige. Der Einzige,
der meine Träume mit mir teilte. Jetzt ist er ist fort …“ Er brach ab, unfähig
weiterzusprechen.
Plötzlich begriff Paruschjati. Die Verbissenheit, mit der er
die Kossäer verfolgte, die Unerbittlichkeit, mit der er ihre armselige Existenz
auszulöschen versuchte – all das, erkannte sie nun, war nur ein Versuch, an der
Welt Rache zu nehmen für den Tod des einen Menschen, der ihn verstanden und dem
er vertraut hatte.
„Es tut mir leid, dass er gestorben ist.“ Er konnte nicht
wissen, wie bitter ernst es ihr damit war. „Warum sprichst du nicht mit den
Menschen? Warum versuchst du nicht, es ihnen zu erklären? Hör auf, dieses arme
Bergvolk zu verfolgen, und überzeuge die Welt von dem Neuen, das du schaffen
willst!“
Er schüttelte den Kopf, resigniert und hoffnungslos. „Sie
würden nicht einmal zuhören.“
Seine Haare hatten begonnen nachzuwachsen, nun standen sie
ungleichmäßig nach allen Richtungen ab. Er sah zerrupft aus wie eine räudige
Katze, dabei war er immer so stolz auf seine dichte, glänzende Mähne gewesen.
Fast spürte sie Mitleid mit ihm. Aber nur fast.
„Vielleicht verstehen die Menschen mehr, als du ihnen
zutraust.“ Sie lächelte schüchtern. „Du kannst gern bei mir anfangen – erzähle
mir von deinen Träumen! Und von Hephaistion! Ich hätte ihn gern besser
gekannt.“
Babylon, 3. Panemos
Am Morgen litt Paruschjati wieder an Übelkeit, doch zum
ersten Mal war sie froh darüber, denn es vermittelte ihr ein gewisses Gefühl
von Normalität.
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