Die Perserinnen - Babylon 323
unpersönlich.
„Geschäftsmäßig“ war wohl das passende Wort. Obwohl sie wusste, dass das in
königlichen Ehebetten nichts Ungewöhnliches war, fühlte sie sich entwürdigt.
Über die üblichen Kanäle erfuhr sie, dass er seine unerwartete Gunst
gleichmäßig auf alle seine Frauen verteilte. Jetzt, wo er oft an den Tod
dachte, wollte er weitere Söhne, mögliche Erben für sein Reich.
Er interpretierte ihr Schweigen auf seine Weise. „Schade,
aber was nicht ist, kann ja noch werden.“ Zügig steuerte er auf den Vorhang zu,
der den Hauptraum des Zeltes vom Schlafgemach trennte, und nestelte dabei an
seinem Umhang. „Wie gesagt, ich habe wenig Zeit …“
Jetzt reichte es ihr. „Dann solltest du dir entweder welche
nehmen oder es ganz sein lassen. Ich bin keine von deinen Huren oder
Lustknaben, die du schnell einfach so antreten lassen kannst. Ich bin deine
Gemahlin, wenn auch nur eine von mehreren, und auch wenn du meiner Person nicht
das geringste Interesse entgegenbringst, erwarte ich den Respekt, der mir als
Ehefrau zusteht!“
Das mechanische Lächeln erlosch, und er starrte sie
entgeistert an. Er war es nicht gewohnt, dass jemand ihm Paroli bot. Jetzt
weniger als je zuvor.
Seine Verzweiflung nach Hephaistions Tod hatte sich wie
Mehltau über den Hof und die Armee gelegt, eine alles erstickende Schicht von
Verunsicherung, Sorge und diffuser Furcht, die in allen lähmende
Hoffnungslosigkeit erzeugte. Zum Zeichen der Trauer hatte er sich die Haare
geschoren, bis hinunter auf die Kopfhaut, ein verstörender Anblick.
Als der Winter kam, also gerade zur unpassendsten Zeit,
waren Hof und Armee von Ekbatana nach Babylon aufgebrochen. Das Gebirge, das
sie dabei überqueren mussten, war bereits tief verschneit. Das wilde Bergvolk
hier beging den Fehler „Geschenke“ zu verlangen für den Durchmarsch durch sein
Gebiet. Von einem Augenblick zum anderen befand sich die Armee im Krieg, mitten
im tiefsten Winter. Der König verfolgte die Kossäer bis in ihre verstecktesten
Schlupfwinkel, machte die Stammeskrieger nieder, wo er sie fand, und ließ ihre
Frauen und Kinder zusammentreiben. Es ging das Gerücht um, er wolle den ganzen
Stamm auslöschen, Männer wie Frauen, vom Säugling bis zum Greis.
Immer noch schien er wie mitten in der Bewegung erstarrt,
und je länger es andauerte, umso mehr wuchs ihre Furcht. Seit Hephaistions Tod
war er unberechenbar. Doch dann entspannte sich seine Haltung ein wenig, und
auf seinem Gesicht deutete sich ein Lächeln an, das eine winzige Spur echter
und wärmer war als alles, was er sich in den letzten Monaten abgerungen hatte.
„Ich wollte dich nicht beleidigen“, sagte er. „Mein Benehmen
ist taktlos und unsensibel, ich entschuldige mich dafür. Es ist nur so, dass
ich tatsächlich wenig Zeit habe.“
Trotz seiner halbherzigen Entschuldigung war ihre Empörung
immer noch größer als ihre Angst. „Ach ja, du bist ja vollauf damit
beschäftigt, dieses gemeingefährliche Bergvolk auszurotten.“
Um seinen Mund zeigte sich ein verbissener Zug. „Die Kossäer
sind ein Volk von Räubern und Wegelagerern, sie bekommen, was sie verdienen.
Eine Frechheit, Tribut von ihrem König zu verlangen!“
„Sie haben nur getan, was seit Generationen ihr Brauch ist.
Die Stämme in diesen Bergen haben schon immer Wegzoll verlang. Keinem Großkönig
ist es gelungen, sie zu zähmen.“
„Mir wird es gelingen!“, rief er. „Ich werde keinen
Widerstand dulden, nicht von diesen Bergräubern und auch von niemandem sonst.“
„Nein, du wirst nicht eher ruhen, als bis du die ganze Welt
unter dein Joch gezwungen hast! Das Leid, das du dabei über die Menschen
bringst, ist dir gleichgültig. Über die Menschen, die von deinen Soldaten wie
wilde Tiere in die Berge gejagt und niedergemacht werden. Die Frauen und
Kinder, die in ihren brennenden Hütten sterben oder wie Vieh in Pferche
getrieben werden. Was hast du mit ihnen vor? Wirst du auch sie abschlachten
lassen wie die Männer? Oder willst du sie in die Sklaverei verkaufen? Ihre
Schreie dringen bis zu meinem Zelt, der Rauch ihrer verbrannten Hütten
vergiftet meine Lungen.“
Sie war selbst erstaunt über ihren Ausbruch. Und über ihren
Mut. Dem Großkönig offen entgegenzutreten? Wer hätte das je gewagt? Nicht die
höchsten Würdenträger, nicht seine engsten Vertrauten, nicht einmal seine
nächsten Verwandten. Gewiss nicht seine Frauen. Und doch war es für Paruschjati
das einzig Richtige gewesen. Der Qualm hatte seit vielen Tagen
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