Die Perserinnen - Babylon 323
Soldaten.“
„Das ist richtig. Die Makedonen sind eine brutale Bande, die
vor wenig zurückschreckt, doch der Mord an Frauen und Kindern würde bei ihnen
nicht gut ankommen. Und deshalb lässt Perdikkas Raukschana die Dreckarbeit
erledigen. Dann heißt es nur wieder: ‚Seht, die blutrünstigen Barbaren! Sie
ermorden sogar unschuldige Frauen und Kinder!‘“
„Wahrscheinlich ist es ohnehin egal“, meinte Paruschjati
schließlich. „Ob Raukschana nun mit Perdikkas’ Wissen gehandelt hat oder auf
eigene Faust: Wir sollten nicht warten, bis sie es noch einmal versucht. Wir
müssen aus Babylon verschwinden, und zwar so bald wie möglich. Weißt du, wohin
du gehen kannst?“
„Mein Bruder Farnavazda lebt in Pergamon, das ist eine Stadt
im Westen, in der Nähe des Meeres. Dort wären mein Sohn und ich in Sicherheit.
Und du? Wohin willst du?“
„Vielleicht zu Parmusch“, überlegte Paruschjati.
Das war das Nächstliegende. Ihre Halbschwester und deren
Mann, der Satrap von Medien, würden sie bestimmt bei sich aufnehmen. Dann war
da noch das Angebot der Verschwörer aus dem Osten, doch ihnen hatte Paruschjati
nie vertraut. Sie wusste nicht einmal, ob die Männer noch am Leben waren oder
ob sie alle zusammen mit Bisthan und seinen Anhängern tot im Apadana gelegen
hatten. Letzteres würde zumindest erklären, warum Paruschjati nichts mehr von
ihnen gehört hatte. Doch mittlerweile hatte der Gedanke, dass ihr Sohn König
eines neuen Reiches im Osten werden könnte, viel an Reiz gewonnen …
Barsine riss sie aus ihren Gedanken. „Warum kommst du nicht
mit mir nach Pergamon?“ Sie griff nach Paruschjatis Hand. „Dir würde es im
Westen gefallen, und wir beide könnten zusammen sein.“
Paruschjati sah auf und lächelte. „Ja, das wäre schön.“ Mit
Barsine zusammen sein – noch ein verführerischer Gedanke! Und Paruschjati würde
den Westen kennen lernen! Doch dann schüttelte sie den Kopf. „Ich kann nicht.
Ich bin noch zu schwach zum Reisen.“
„Das weiß ich. Immerhin hast du gerade erst einen
Giftanschlag überstanden und warst tagelang bewusstlos. Wir warten natürlich,
bis es dir wieder besser geht.“
„Nein!“, rief Paruschjati erschrocken. „Ich möchte nicht,
dass du dich und deinen Sohn meinetwegen in Gefahr bringst! Du musst an
Herakles denken und sobald wie möglich aufbrechen!“
Barsine schüttelte den Kopf. „Perdikkas’ Leute haben alle
Wege aus der Stadt abgeriegelt. Wir müssen warten, bis die Straßen oder der
Fluss wieder frei sind. Vor einem weiteren Giftanschlag dürften wir bis dahin
sicher sein. Raukschana weiß, dass wir gewarnt sind und entsprechende
Vorkehrungen treffen. Und wenn sie zu härteren Mitteln greifen will, braucht
sie dazu Rückendeckung von Perdikkas. Doch der ist im Moment draußen vor der
Stadt.“
Also blieb ihnen noch eine Gnadenfrist. Doch wenn Meleagros
sich weiterhin so ungeschickt anstellte wie bisher, konnte sie schneller
vorüber sein, als sie beide dachten.
18
Die schweren ledernen Vorhänge vor dem Zelteingang wurden
abrupt zur Seite geschlagen, und er stürmte herein wie der Nordostwind an einem
eiskalten Wintertag. Unwillkürlich zuckte sie zusammen, doch sie widerstand dem
Impuls, aufzuspringen und Haltung anzunehmen wie ein Soldat. Das war die
Wirkung, die der König auf jeden zu haben schien. Doch Paruschjati war kein
Soldat. Sie war seine Frau und blieb daher sitzen, während ihre Dienerinnen und
Eunuchen hastig aus dem Zelt drängten.
Der Kälte, die er von draußen mitbrachte (oder
verursachte?), rollte als eisiger Schwall vor ihm her, als er mit langen
Schritten den Raum durchquerte. „Entschuldige, dass ich dich habe warten
lassen.“ Er setzte ein mechanisches Lächeln auf, dasselbe, das er in letzter
Zeit ständig zur Schau trug, wenn er nicht gerade mit leeren Augen und
versteinerter Miene vor sich hinstarrte. Es wirkte leblos und unaufrichtig. „Es
ist spät geworden. Ich weiß es zu schätzen, dass du so lange auf mich gewartet
hast.“
„Ich hatte wohl kaum eine andere Wahl.“ Sie stand nun doch
auf, sie wollte nicht zu ihm aufblicken müssen. Fröstelnd zog sie ihren
pelzbesetzten Mantel enger um ihre Schultern.
Sein Lächeln veränderte sich nicht die Spur. „Es tut mir
leid, dass ich dir Ungelegenheiten bereite, aber ich habe wenig Zeit. Bist du
eigentlich schon schwanger?“
Seine Taktlosigkeit verschlug ihr die Sprache. In letzter
Zeit besuchte er sie häufiger, doch ihre Begegnung blieb immer
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