Die Perserinnen - Babylon 323
überrascht mich das nicht.
Was ich nicht verstehe, ist, warum auch vernünftige Menschen wie Eumenes sich
verführen lassen.“ Paruschjati erinnerte sich an ihr Gespräch mit dem
Kanzleichef und daran, wie er über ehrgeizige makedonische Offiziere hergezogen
war. „Oder auch Attalos. Ich habe mehr von den beiden gehalten.“
Barsine zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich halten sie und
auch andere, die bisher nicht unbedingt zu Perdikkas’ Anhängern gehörten, ihn
für das kleinere Übel, zumindest im Vergleich mit Meleagros, der nicht nur ein
skrupelloser Unruhestifter ist, sondern sich auch als unfähig entpuppt hat.
Perdikkas ist der Einzige, der das Auseinanderbrechen des Reiches verhindern
kann.“
„Das klingt fast, als ob du ihn verteidigen willst.“
„Perdikkas mag machtgierig und skrupellos sein, aber er war
Alexander stets treu ergeben. Viele andere wollen sich nur ein möglichst großes
Stück vom Kuchen abschneiden, Ptolemaios zum Beispiel, mein geschätzter
Schwager; seit einiger Zeit liebäugelt er mit Ägypten, sagt Artakama. Perdikkas
ist der Einzige, der das nötige Format besitzt, um das Reich vielleicht
zusammenzuhalten. Hephaistion ist tot, Antipatros alt und Krateros weit weg –
nur Perdikkas kann verhindern, dass alles, was Alexander geschaffen hat,
zerstört wird.“
20
Die Erde war schwarz und verbrannt. Dunkler Rauch stieg von
ihr auf und wehte über die Ebene bis zum Horizont. Der Himmel war von einem
fahlen Grau, vor dem sich die Sonne kaum sichtbar als blasse Scheibe
abzeichnete. Rauchschwaden trieben über sie hinweg. Die Luft war erfüllt von
beißendem Gestank, der trocken und ätzend in den Lungen brannte und jeden
Atemzug zur Qual machte.
Wo war sie? Sie sah sich um, doch die Ebene in ihrer
versengten Kahlheit bot keinerlei Anhaltspunkte. So oft hatte sie von Feuer
geschwärztes Land gesehen, brennende Städte und zerstörte Dörfer. Nichts aber
war so trostlos und öde gewesen, so sehr vom Tod überschattet wie diese Ebene.
Und dann fiel es ihr wieder ein. Das Haus des Kamels. Die Tage vor der großen
Schlacht, die über das Schicksal der Welt entschieden hatte.
Ein Windstoß wehte ihr Asche ins Gesicht. Ihre Augen
begannen zu tränen. Sie kauerte sich auf dem Boden nieder und zog ihren
Schleier vor Nase und Mund. Sie war wieder zwölf Jahre alt und befand sich auf
der Ebene beim Haus des Kamels. Viele Tage lang waren sie durch das vom Feuer
verwüstete Land gezogen. Immer hatte sie gehofft, dass der Großkönig kommen und
sie befreien würde. Doch zum Schluss war alles Hoffen vergeblich gewesen. Die
Welt war untergegangen. Sie zog den Schleier über den Kopf und krümmte sich auf
dem Boden zusammen, während der aschebeladene Wind über ihren Rücken fegte.
Etwas stimmte nicht. Sie konnte Vögel kreischen hören. Beim
Haus des Kamels aber hatte es keine Vögel gegeben, sie waren alle geflohen,
fort von Hitze und Tod. Sie schob den Schleier ein wenig zur Seite und sah auf.
Da waren sie. Mit ausgebreiteten Schwingen jagten sie über den Himmel, weiß und
grau. Möwen. Vögel, die am Meer lebten. Überlagert von ihren heiseren Schreien,
war das Rollen einer Brandung zu hören. Vorsichtig holte sie Luft. Richtig,
durch den brenzligen Gestank ließ sich die Spur einer salzigen Brise ausmachen.
Sie war nicht am Haus des Kamels. Sie war am Meer.
„Siehst du die großen Tempel und Häuser, die Gymnasien,
Marktplätze, Theater?“ Plötzlich stand er neben ihr. Groß, dunkel, in der
Rüstung eines makedonischen Soldaten. Immer noch auf dem Boden
zusammengekrümmt, konnte sie sein Gesicht nicht erkennen, doch sie sah, wie
sein Arm eine ausholende Bewegung machte. „Siehst du den großen Hafen, in dem
Hunderte von Schiffen vor Anker liegen?“
Sie stand auf und blickte in die Richtung, in die er gezeigt
hatte. Nichts. Ratlos sah sie ihn an. Schwarzes, zerzaustes Haar fiel in seine
Augen, die von diesem tiefen, fremdartigen Blau waren. Er begann zu lächeln,
und seine Zähne blitzten auf wie Schnee in der Sonne.
„Mach die Augen zu“, verlangte er. „Stell dir die neue Stadt
vor: breite Straßen, die ein gleichmäßiges Muster von Rechtecken bilden.“
Sie gehorchte, doch so sehr sie sich auch anstrengte, sie
konnte nichts erkennen. Alles blieb tot und schwarz.
„Die vielen Vögel“, sagte er. „Weißt du, was sie bedeuten?“
„Nein“, erwiderte sie mit brüchiger Stimme.
„Doch, du weißt es. So wie diese Vogelschwärme werden
Menschen aus allen
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