Die Perserinnen - Babylon 323
Ein Trompetensignal, die Reiter setzten sich in Bewegung und
hielten auf die Phalanx zu. Ihr Tempo steigerte sich, sie jagten jetzt in
vollem Galopp dahin und kamen der Phalanx näher und näher. Es sah aus, als
wollten sie sie niederreiten.
„Gehört das mit dazu?“, fragte Paruschjati irritiert, doch
Barsine schüttelte den Kopf, ohne den Blick von der Front galoppierender Pferde
abzuwenden.
Auch die Fußsoldaten bekamen es mit der Angst zu tun, sie
schlossen ihre Reihen dichter und einige Abteilungen begannen, ihre langen
Lanzen zu fällen. Plötzlich, fast ruckartig, brachten die Reiter ihre Tiere zum
Stehen, nicht weit vor der Schlachtreihe der Phalangiten. Eine fast unheimliche
Stille breitete sich aus, während der Staub, den die Hufe aufgewirbelt hatten,
sich langsam wieder setzte oder mit der Luft davongetragen wurde.
Eine kleine Gruppe von Reitern löste sich aus der Frontlinie
und ritt auf die Fußsoldaten zu, an ihrer Spitze der König. Unmittelbar vor der
Phalanx machte er halt und hielt eine kurze Rede, die wegen der weiten
Entfernung nicht zu verstehen war. Doch die Wirkung war unübersehbar: Von einem
Augenblick zum anderen schien die Phalanx ihren Zusammenhalt zu verlieren, sie
büßte ihre Spannung ein wie ein zerbrochener Bogen.
Perdikkas lenkte sein Pferd neben das des Königs und sprach
ebenfalls. Ängstliches Gemurmel stieg aus den Reihen der Phalanx auf. Einzelne
Soldaten, sogar ganze Kontingente lösten sich aus der Formation, andere drängen
sich ängstlich zusammen. Langsam ritt Perdikkas die Frontlinie ab und erteilte
Befehle, zeigte auf einzelne Männer oder ganze Gruppen, die von seinen Leuten
herausgezerrt wurden, ohne dass der Rest der Phalanx Widerstand leistete.
Die Unglücklichen – es mussten etwa dreihundert sein –
wurden fortgeschleppt, hinüber zu den Elefanten. Die Tiere waren unruhig, sie
waren ausgebildete Kriegselefanten, das Schmettern der Trompeten und das
Waffengeklirr hatten sie in Kampfstimmung versetzt. Sie trampelten im Staub,
schwangen die gewaltigen grauen Schädel rhythmisch hin und her und warfen die
Rüssel in die Luft. Ihr Trompeten war durchdringend.
„Ich kann es nicht glauben“, sagte Barsine, während
Frataguna Faiduma an sich drückte und ihr die Augen zuhielt.
Auch die Gefangenen hatten erfasst, was ihnen bevorstand.
Sie schrien und setzten sich mit Leibeskräften zu Wehr. Schon wurden die ersten
zu Boden geworfen, jeweils vier Männer packten Arme und Beine eines
Todgeweihten und schleppten ihn auf die tobenden Tiere zu. Der Unglückliche,
der den Frauen am nächsten war, wand sich im Griff seiner Henker, doch er wurde
vor dem vordersten Elefanten zu Boden gezwungen. Er schrie lang und gellend,
während das Tier den massigen Fuß hob und ihn auf die Brust des Schreienden
setzte.
Auf dem Rückweg zum Palast sprach niemand. Zu sehr steckte
allen das Entsetzen über das, was sie mit angesehen hatten, in den Gliedern.
Als sie in Paruschjatis Gemächern angekommen waren, ließ Aspamithra die Türen
verrammeln und Eunuchen davor Wache beziehen, als könnten sie das Böse draußen
halten.
„Paruschjati, du musst aus Babiru fliehen“, sagte Frataguna.
„Sofort! Fliehe zu Parmusch und Atarepata nach Mada, dort bist du in
Sicherheit. Vidarna und ich kommen mit dir.“
„Wir sollten nichts überstürzen“, wiegelte Vidarna ab. „So
schlimm das ist, was eben geschehen ist – es betrifft uns nicht. Sollen die
Barbaren sich doch gegenseitig umbringen! Aber Paruschjati muss an ihr Kind
denken. Wenn es ein Sohn wird, ist er der wahre Erbe des Königs und zugleich
der Letzte aus dem Haus des Hachamanisch.“
„Hast du nicht verstanden?“, fragte Frataguna beißend. „Die
Sache ist entschieden. Es gibt schon zwei Könige. Niemand hat Bedarf für einen
dritten.“
„Aber Paruschjati ist die Nachfahrin von Großkönigen, es ist
ihre Pflicht, für die Rechte ihres Sohnes zu kämpfen.“
„Vidarna“, sagte Paruschjati, „Frataguna hat recht: Die
Sache ist entschieden. Vielleicht bin ich tatsächlich schwanger, aber selbst
wenn ich einen Sohn bekommen sollte, wird er nicht König werden. So sehr ich
mir gewünscht haben mag, dass ein Sohn von mir eines Tages den Thron meines
Vaters wiedergewinnt: Es wird niemals Wirklichkeit werden.“
Doch Vidarna gab sich noch nicht geschlagen. „Nicht jetzt,
aber was ist später? Was ist, wenn Raukschanas Sohn stirbt, bevor er erwachsen
ist? Bis dahin dürfte auch dem dümmsten Makedonen klar geworden sein,
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