Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
Vom Netzwerk:
Pest; dass man dies nicht mit absoluter Sicherheit sagen könne und folglich darüber nachdenken müsse.
    «Die Frage ist nicht, ob die vom Gesetz vorgesehenen Maßnahmen streng sind, sondern ob sie nötig sind, um zu verhindern, dass die halbe Stadt getötet wird», wiederholte Rieux beharrlich. «Der Rest ist Sache der Verwaltung, und zur Regelung solcher Fragen sieht unsere Verfassung ja einen Präfekten vor.»
    «Zweifellos», sagte der Präfekt, «aber dazu brauche ich von Ihnen die offizielle Bestätigung, dass es sich um eine Pestepidemie handelt.»
    «Wenn wir es nicht bestätigen, droht sie trotzdem die halbe Stadt umzubringen», sagte Rieux.
    Richard mischte sich etwas nervös ein:
    «In Wahrheit glaubt unser Kollege an die Pest. Seine Beschreibung des Syndroms beweist es.»
    Rieux erwiderte, er habe kein Syndrom beschrieben, sondern das, was er gesehen habe. Und was er gesehen habe, seien Beulen, Flecken, Fieberdelirien, die innerhalb von achtundvierzig Stunden zum Tod führten. Ob Monsieur Richard es verantworten könne zu versichern, dass die Epidemie ohne rigorose Vorsorgemaßnahmen ein Ende nehmen werde?
    Richard zögerte und sah Rieux an:
    «Sagen Sie mir aufrichtig, was Sie meinen, sind Sie sicher, dass es sich um die Pest handelt?»
    «Sie stellen die Frage falsch. Es ist keine Frage der Terminologie, es ist eine Frage der Zeit.»
    «Dann meinen Sie also», sagte der Präfekt, «dass, selbst wenn es nicht die Pest sein sollte, trotzdem die für Pestzeiten vorgesehenen Vorsorgemaßnahmen ergriffen werden sollten?»
    «Wenn ich unbedingt eine Meinung haben muss, dann tatsächlich die.»
    Die Ärzte berieten sich, schließlich sagte Richard:
    «Wir müssen also die Verantwortung dafür übernehmen, so zu handeln, als sei die Krankheit die Pest.»
    Dieser Formulierung wurde beifällig zugestimmt.
    «Entspricht das auch Ihrer Meinung, werter Kollege?», fragte Richard.
    «Die Formulierung ist mir gleichgültig», sagte Rieux. «Sagen wir nur, dass wir nicht so handeln dürfen, als liefe die halbe Stadt nicht Gefahr, getötet zu werden, denn sonst wird sie es.»
    Unter allgemeiner Gereiztheit ging Rieux. Einige Augenblicke später, in der Vorstadt, die nach Bratenfett und Urin roch, wandte sich ihm eine in Todesangst schreiende Frau mit blutigen Leisten zu.
     
     
    Am Tag nach der Besprechung griff das Fieber noch etwas weiter um sich. Es sprang sogar auf die Zeitungen über, aber in einer gutartigen Form, denn sie begnügten sich mit einigen Andeutungen. Am übernächsten Tag konnte Rieux jedenfalls kleine weiße Bekanntmachungen lesen, die die Präfektur schnell an den unauffälligsten Ecken der Stadt hatte ankleben lassen. Es war schwierig, in dieser Bekanntmachung den Beweis dafür zu sehen, dass die Behörden sich der Situation stellten. Die Maßnahmen waren nicht drakonisch, und man schien dem Wunsch, die Öffentlichkeit nicht zu beunruhigen, viel geopfert zu haben. Einleitend meldete der Erlass nämlich, es seien einige Fälle eines bösartigen Fiebers in der Gemeinde Oran aufgetreten, von dem noch nicht gesagt werden könne, ob es ansteckend sei. Diese Fälle seien nicht eindeutig genug, um wirklich beunruhigend zu sein, und es gebe keinen Zweifel, dass die Bevölkerung gelassen bleiben werde. Dennoch ergreife der Präfekt im Sinne einer Vorsicht, die jeder verstehen könne, einige vorbeugende Maßnahmen. Richtig verstanden und angewendet seien diese Maßnahmen so geartet, dass sie jede Gefahr einer Epidemie auf der Stelle beendeten. Folglich zweifle der Präfekt keinen Augenblick daran, dass die Bevölkerung die aufopferungsvollste Mitarbeit bei seinem persönlichen Bemühen leisten werde.
    Die Bekanntmachung kündigte dann umfassende Maßnahmen an, darunter eine wissenschaftliche Rattenvernichtung durch das Spritzen von Giftgas in die Kanalisation und eine genaue Überwachung der Wasserversorgung. Sie empfahl den Einwohnern peinlichste Sauberkeit und forderte schließlich die von Flöhen Befallenen auf, sich in die städtischen Ambulatorien zu begeben. Andererseits seien die Familien verpflichtet, die von einem Arzt diagnostizierten Fälle zu melden und der Isolierung ihrer Kranken in speziellen Sälen im Krankenhaus zuzustimmen. Diese Säle seien übrigens so ausgerüstet, dass die Kranken in kürzester Zeit und mit den besten Aussichten auf Heilung gepflegt würden. Einige zusätzliche Paragraphen schrieben die Desinfizierung des Krankenzimmers und des Transportfahrzeugs zwingend vor.

Weitere Kostenlose Bücher