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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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melancholischen Lächeln ein. Aber die Aussicht auf ein durch ehrlich verdientes Geld gesichertes materielles Leben und damit auf die Möglichkeit, sich ohne Gewissensbisse seinen Lieblingsbeschäftigungen widmen zu können, war sehr verlockend. Dass er das Angebot, das man ihm gemacht hatte, annahm, geschah aus ehrenwerten Gründen und, wenn man so sagen kann, aus Treue zu einem Ideal.
    Dieser provisorische Zustand dauerte schon viele Jahre, das Leben hatte sich maßlos verteuert, und Grands Gehalt war trotz einiger allgemeiner Erhöhungen immer noch lachhaft. Er hatte sich bei Rieux darüber beklagt, aber niemand schien es zu bemerken. Hierin besteht Grands Originalität, oder zumindest eines ihrer Merkmale. Er hatte nämlich, wenn nicht Rechte, deren er nicht sicher war, so doch wenigstens die Zusicherungen geltend machen können, die man ihm gegeben hatte. Aber zum einen war der Bürovorsteher, der ihn eingestellt hatte, seit langem tot, und außerdem erinnerte sich der Angestellte nicht an den genauen Wortlaut der Zusage, die man ihm gemacht hatte. Schließlich und hauptsächlich fand Joseph Grand keine Worte.
    Ebendiese Eigenheit war am kennzeichnendsten für unseren Mitbürger, wie Rieux feststellen konnte. Sie hielt ihn nämlich immer davon ab, den Beschwerdebrief zu schreiben, den er im Sinn hatte, oder die unter diesen Umständen erforderliche Maßnahme zu ergreifen. Wenn man ihm glauben wollte, fühlte er sich besonders gehemmt, das Wort «Recht» zu gebrauchen, dessen er nicht sicher war, und auch das Wort «Versprechen», das zum Ausdruck gebracht hätte, er verlange, was ihm zustehe, und das folglich etwas Kühnes gehabt hätte, was mit der Bescheidenheit seiner Tätigkeit wenig vereinbar gewesen wäre. Andererseits versagte er es sich, die Ausdrücke «Wohlwollen», «bitten», «Dankbarkeit» zu benutzen, die, wie er meinte, nicht mit seiner persönlichen Würde in Einklang zu bringen seien. So kam es, dass unser Mitbürger, weil er das passende Wort nicht fand, bis in ein ziemlich vorgerücktes Alter weiter seine unbeachtete Tätigkeit ausübte. Im Übrigen, immer noch dem zufolge, was er Doktor Rieux sagte, merkte er mit der Zeit, dass sein materielles Auskommen auf jeden Fall gesichert war, da er schließlich seine Bedürfnisse nur seinen Einnahmen anzupassen brauchte. Damit erkannte er die Richtigkeit eines Lieblingsausspruchs des Bürgermeisters an, eines Großindustriellen unserer Stadt, der nachdrücklich behauptete, letzten Endes (und er betonte dieses Wort, auf dem das ganze Gewicht der Beweisführung lag), letzten Endes also habe man noch nie jemanden verhungern sehen. Auf jeden Fall hatte das gewissermaßen asketische Leben, das Joseph Grand führte, ihn letzten Endes tatsächlich von jeder derartigen Sorge befreit. Er suchte weiter seine Worte.
    In gewisser Hinsicht kann man wohl sagen, dass sein Leben vorbildlich war. Er gehörte zu den in unserer Stadt wie anderswo seltenen Menschen, die immer den Mut haben, zu ihren guten Gefühlen zu stehen. Das wenige, was er einem von sich anvertraute, zeugte in der Tat von einer Güte und Anhänglichkeit, die man heutzutage nicht einzugestehen wagt. Er schämte sich nicht zuzugeben, dass er seine Neffen und seine Schwester liebte, die einzige Verwandte, die er noch hatte und die er alle zwei Jahre in Frankreich besuchte. Er bekannte, dass die Erinnerung an seine Eltern, die gestorben waren, als er noch jung war, ihn betrübte. Er sträubte sich nicht zuzugeben, dass er eine bestimmte Glocke in seinem Viertel, die gegen fünf Uhr nachmittags leise erklang, über alles liebte. Aber um so einfache Gefühle wachzurufen, kostete ihn das kleinste Wort tausend Mühen. Letzten Endes war diese Schwierigkeit sein wichtigstes Anliegen … «Ach, Herr Doktor», sagte er, «ich möchte so gern lernen, mich auszudrücken.» Jedes Mal, wenn er Rieux traf, sprach er darüber.
    Als der Arzt an jenem Abend den Angestellten weggehen sah, begriff er auf einmal, was Grand hatte sagen wollen: Er schrieb wahrscheinlich ein Buch oder etwas Ähnliches. Das beruhigte Rieux noch im Laboratorium, in das er endlich ging. Er wusste, dass das Gefühl dumm war, aber er konnte nicht glauben, dass die Pest sich wirklich in einer Stadt einnisten könnte, in der bescheidene Beamte zu finden waren, die ehrenwerte Marotten kultivierten. Genaugenommen konnte er sich den Platz dieser Marotten innerhalb der Pest nicht vorstellen und befand daher, die Pest habe unter unseren Mitbürgern

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