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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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weiter gewartet, hatte ein bisschen Papier zerrissen, war hineingegangen, wieder herausgekommen, dann, nach einer gewissen Zeit, war er plötzlich verschwunden und hatte wütend seine Balkontür hinter sich zugemacht. An den folgenden Tagen wiederholte sich die gleiche Szene, aber von den Zügen des kleinen Alten konnte man eine immer deutlichere Traurigkeit und Verwirrung ablesen. Nach einer Woche wartete Tarrou vergebens auf die tägliche Erscheinung, und die Fenster blieben beharrlich über einem sehr verständlichen Kummer verschlossen. «In Pestzeiten Spucken auf Katzen verboten», lautete die Folgerung im Tagebuch.
    Andererseits war Tarrou, wenn er abends zurückkehrte, immer sicher, in der Hotelhalle dem düsteren Gesicht des Nachtportiers zu begegnen, der auf und ab ging. Er hörte nicht auf, jeden Beliebigen daran zu erinnern, dass er die Ereignisse vorhergesehen habe. Gegenüber Tarrou, der zugab, er habe ihn ein Unglück vorhersagen hören, der ihn aber an seine Einbildung von einem Erdbeben erinnerte, äußerte der alte Portier: «Ach, wenn es doch ein Erdbeben wäre! Ein ordentlicher Stoß, und damit hat es sich … Man zählt die Toten, die Lebenden, und dann ist die Sache erledigt. Aber diese Saukrankheit! Selbst die, die sie nicht haben, tragen sie im Herzen.»
    Der Direktor war nicht weniger niedergeschlagen. Anfangs waren die Reisenden, da sie die Stadt nicht verlassen konnten, durch die Schließung der Stadt im Hotel festgehalten worden. Aber nach und nach, mit der Fortdauer der Epidemie, hatten viele sich lieber bei Freunden einquartiert. Und aus denselben Gründen, aus denen alle Hotelzimmer besetzt gewesen waren, standen sie seitdem leer, da keine neuen Reisenden mehr in unsere Stadt kamen. Tarrou blieb einer der wenigen Gäste, und der Direktor ließ keine Gelegenheit aus, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er seinen Betrieb schon lange geschlossen hätte, wenn er nicht den Wunsch hätte, seinen letzten Gästen einen Gefallen zu tun. Er bat Tarrou oft, die wahrscheinliche Dauer der Epidemie zu schätzen. «Es heißt, dass Kälte solchen Krankheiten entgegenwirkt», bemerkte Tarrou. Der Direktor regte sich auf: «Aber hier ist es nie wirklich kalt, Monsieur. Jedenfalls würde es noch mehrere Monate dauern.» Überdies sei er sicher, dass die Reisenden noch lange die Stadt meiden würden. Diese Pest sei der Untergang des Tourismus.
    Im Restaurant sah man nach kurzer Abwesenheit Monsieur Othon, den Eulenmann, wiederauftauchen, aber nur von den beiden dressierten Hunden gefolgt. Erkundigungen besagten, die Frau habe ihre eigene Mutter gepflegt und beerdigt und befinde sich zurzeit in Quarantäne.
    «Mir gefällt das nicht», sagte der Direktor zu Tarrou. «Quarantäne oder nicht, sie ist verdächtig, und die drei folglich auch.»
    Tarrou wies ihn darauf hin, dass so gesehen alle Welt verdächtig sei. Aber der andere war kategorisch und hatte in dieser Frage ganz entschiedene Ansichten:
    «Nein, Monsieur, weder Sie noch ich sind verdächtig. Aber die.»
    Doch Monsieur Othon änderte sich nicht wegen so einer Kleinigkeit, und diesmal hatte die Pest das Nachsehen. Er betrat den Speisesaal auf dieselbe Weise, setzte sich vor seine Kinder und redete immer noch vornehm und feindselig auf sie ein. Nur der kleine Junge sah anders aus. Schwarzgekleidet wie seine Schwester, ein bisschen mehr in sich zusammengesunken, wirkte er wie der kleine Schatten seines Vaters. Der Nachtportier, der Monsieur Othon nicht mochte, hatte zu Tarrou gesagt:
    «Ach der, der wird vollständig bekleidet verrecken! Dann braucht man ihn gar nicht zurechtzumachen. Er wird geradewegs hinübergehen.»
    Auch über Paneloux’ Predigt wurde berichtet, aber mit dem folgenden Kommentar: «Ich verstehe diese sympathische Heftigkeit. Am Anfang von Seuchen und an ihrem Ende macht man immer ein bisschen Wind. Im ersten Fall hat man die Gewohnheit noch nicht verloren, im zweiten hat man sie schon wieder angenommen. Nur im Augenblick des Unglücks gewöhnt man sich an die Wahrheit, das heißt an das Schweigen. Warten wir’s ab.»
    Tarrou vermerkte schließlich, dass er ein langes Gespräch mit Doktor Rieux gehabt habe, von dem er nur festhielt, dass es zu guten Ergebnissen geführt habe, erwähnte in diesem Zusammenhang die hellbraune Augenfarbe von Rieux’ Mutter, behauptete seltsamerweise auf sie bezogen, dass ein Blick mit so viel Güte darin immer stärker sein werde als die Pest, und widmete schließlich ziemlich lange Abschnitte dem

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