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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Wichtigtuer, die ihren Besucher baten, eine Notiz mit einer Zusammenfassung seines Falls dazulassen, und ihm mitteilten, sie würden über seinen Fall befinden; die Oberflächlichen, die ihm Wohnungszuweisungen oder Adressen von billigen Pensionen anboten; die Methodischen, die eine Karteikarte ausfüllen ließen und sie dann einordneten; die Überlasteten, die die Arme hoben, und die Belästigten, die wegschauten; schließlich gab es die Herkömmlichen, bei weitem die meisten, die Rambert auf eine andere Dienststelle oder einen möglichen neuen Vorstoß hinwiesen.
    So hatte der Journalist keinen Besuch unversucht gelassen und hatte eine richtige Vorstellung davon bekommen, was ein Rathaus oder eine Präfektur ist, dank seiner Wartezeit auf einer Kunstlederbank vor großen Plakaten, die zum Kauf von steuerfreien Schatzanweisungen oder zum Eintritt in die Kolonialarmee aufforderten, dank seiner Besuche in Büros, in denen die Gesichter sich genauso leicht vorhersehen ließen wie die Hängeregistratur und die Aktenregale. Der Vorteil sei, wie Rambert Rieux mit einer Spur Bitterkeit sagte, dass all das die wirkliche Situation seinem Blick entziehe. Das Fortschreiten der Pest entgehe ihm praktisch. Ganz abgesehen davon, dass die Tage so schneller verflogen und man angesichts der Situation, in der sich die ganze Stadt befand, sagen könne, jeder überstandene Tag bringe jeden Menschen, vorausgesetzt, er stürbe nicht, dem Ende seiner Prüfung näher. Rieux musste zugeben, dass dieser Punkt stimmte, dass es aber doch eine etwas zu allgemeine Wahrheit sei.
    Einmal schöpfte Rambert Hoffnung. Er hatte von der Präfektur einen Blankofragebogen geschickt bekommen, den er genau ausfüllen sollte. Es wurde auf dem Formular nach seinen Personalien, seinem Familienstand, seinen früheren und derzeitigen Einnahmequellen und einem sogenannten curriculum vitae gefragt. Er hatte den Eindruck, es handle sich um eine Umfrage zur Erfassung der Fälle von Leuten, die an ihren normalen Wohnort zurückgeschickt werden könnten. Einige unklare Informationen in einem Büro bestätigten diesen Eindruck. Aber nach ein paar gezielten Vorstößen gelang es ihm, die Dienststelle zu finden, die den Fragebogen verschickt hatte, und dort sagte man ihm, diese Informationen seien «für den Fall» eingeholt worden.
    «Für welchen Fall?», fragte Rambert.
    Darauf erklärte man ihm, es sei für den Fall, dass er an Pest erkranke und sterbe, damit man einerseits seine Familie benachrichtigen könne und andererseits Bescheid wisse, ob die Krankenhauskosten von der Stadt getragen werden müssten oder ob man die Erstattung durch seine Angehörigen erwarten könne. Das bewies natürlich, dass er nicht ganz und gar von derjenigen getrennt war, die auf ihn wartete, da sich die Gesellschaft um sie kümmerte. Aber das war kein Trost. Was bemerkenswerter war und was Rambert folglich bemerkte, war die Art, wie eine Dienststelle mitten in einer Katastrophe ihren Dienst weiter verrichten und oft ohne Wissen der vorgesetzten Behörden Initiativen aus einer anderen Zeit ergreifen konnte, bloß weil sie für diesen Dienst da war.
    Die folgende Zeit war für Rambert zugleich die leichteste und die schwerste. Es war eine Zeit der Abstumpfung. Er war in allen Büros gewesen, hatte alle Schritte unternommen, die Aussichten von dieser Seite waren vorläufig versperrt. Nun wanderte er von Café zu Café. Morgens setzte er sich auf eine Terrasse vor ein Glas lauwarmes Bier, las eine Zeitung in der Hoffnung, irgendwelche Anzeichen für ein baldiges Ende der Krankheit zu finden, sah auf der Straße den Passanten ins Gesicht, wandte sich von ihrem traurigen Ausdruck angewidert ab, und nachdem er zum hundertsten Mal die Aushängeschilder der gegenüberliegenden Geschäfte, die Werbung für die schon nicht mehr erhältlichen bekannten Aperitifmarken gelesen hatte, stand er auf und lief ziellos durch die gelben Straßen der Stadt. Er schleppte sich von einsamen Spaziergängen in Cafés und von Cafés in Restaurants und erreichte so den Abend. An einem solchen Abend sah Rieux den Journalisten zögernd vor der Tür eines Cafés stehen. Er schien sich zu entschließen, ging hinein und setzte sich hinten hin. Es war um die Zeit, wo in den Cafés auf höhere Anordnung der Augenblick, Licht zu machen, so lange wie möglich hinausgeschoben wurde. Die Dämmerung drang wie graues Wasser in das Lokal, das Rosa des Abendhimmels spiegelte sich in den Scheiben, und die Marmorplatten der Tische

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